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Kommunikation mit Betreuungspersonen

Published onOct 05, 2023
Kommunikation mit Betreuungspersonen
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Notwendiges Vorwissen: Argumente für gender- und diskriminierungssensibilisierte Sprache; Methoden gendersensibilisierter Sprache

I. Einleitung

Gendersensibilisierte Sprache in der Dissertation ist ein Thema mit Konfliktpotential. Oft stößt der Wunsch nach ihr auf Gegenwind, gerade leider im akademischen, vor allem im rechtswissenschaftlichen Bereich. Bereits bei der Auswahl einer Betreuungsperson sollte - sofern möglich - mitbedacht werden, wie sie gendersensibilisierter Sprache gegenüber steht und, ob es bei der Betreuungsperson möglich ist, die eigene Dissertation in dieser Weise zu verfassen. Insbesondere vergangene Publikationen können dabei Hinweise darauf geben, welche Ansichten eine Betreuungsperson hat. Legitim ist es natürlich auch, in einem Bewerbungs- oder Vorgespräch die jeweilige Person hierzu zu befragen.

Besteht das Betreuungsverhältnis bereits und Betreuungspersonen erzeugen Gegenwind, wird die Situation für viele Doktorand*innen prekär. Es stellt sich die Frage “Wie mache ich jetzt weiter?”.

In einem ersten Schritt sollte die Konfliktsituation an sich überprüft werden. Dazu kann eine Ursachenforschung dienlich sein.

Bei dieser Ursachenforschung soll das folgende Kapitel unterstützen. Anhand eines Entscheidungsbaums kann die eigene Situation analysiert werden. Werden bei dieser Analyse Probleme identifiziert, können dazu im jeweiligen Abschnitt weitere Hinweise zur Kommunikationsverbesserung nachgelesen werden. Zudem wird die Möglichkeit vorgestellt, gendersensibilisierte Sprache erst bei der Veröffentlichung der Arbeit zu nutzen.

Wichtig ist es an dieser Stelle, auf die Grundlagen einer erfolgreichen Kommunikation hinzuweisen. Hierbei sind folgende Punkte maßgeblich:

  1. Zuhören: Aufmerksames und aktives Zuhören ermöglicht es, genau identifizieren zu können, was die andere Person sagen möchte. Häufig sind wir während des Zuhörens bereits damit beschäftigt, uns eine Antwort zurecht zu legen. Dies führt dazu, dass nicht erkannt wird, welche Aussage die andere Person treffen will. Im Mittelpunkt sollte daher nicht die möglichst schnelle Antwort stehen, sondern das Ziel, die andere Person zu verstehen. Menschen drücken sich manchmal nicht deutlich oder ungeschickt aus. Konzentrieren wir uns darauf, was die andere Person uns sagen möchte, können wir den wahren Inhalt einer Aussage besser identifizieren und so vielleicht sogar Missverständnissen vorbeugen. Hierzu gehört es auch, Rückfragen zu stellen, wenn wir uns unsicher sind, was die andere Person meint. Dabei bietet sich insbesondere die Methode der Paraphrasierung an. Dies bedeutet, dass die Botschaft der Betreuungsperson in eigenen Worten sachlich umschrieben wird, um somit zu verdeutlichen, wie sie verstanden wurde. Daran anschließend können mögliche Missverständnisse direkt aufgegriffen werden.

  2. Nicht unterbrechen: Wesentlich für eine gelungene Kommunikation ist es auch, die andere Person ausreden zu lassen und sie nicht zu unterbrechen. Nur so können wir auch gut zuhören, weil wir ansonsten nicht all das Gesagte aufnehmen können. Eine Person nicht zu unterbrechen, ist schlussendlich auch eine Frage von Respekt.

  3. Klar, deutlich, unaufgeregt: Die Kommunikationssituation mit Betreuungspersonen löst häufig Angstgefühle aus. Doktorand*innen fühlen sich ausgeliefert und unsicher. Dies führt dazu, dass die Kommunikation, das Gesagte, häufig unklar und undeutlich wird. Die Angst sorgt außerdem für eine Aufregung, die sich ebenfalls in der Art und Weise der Kommunikation widerspiegelt. Die eigenen Argumente werden verkürzt dargestellt, um möglichst schnell die Situation beenden zu können, oder der eigene Standpunkt wird nicht konsequent vertreten. Wesentlich ist es deshalb, die eigene Botschaft möglichst klar und deutlich zu formulieren, um besser verstanden werden zu können. Dafür kann es hilfreich sein, die wichtigsten Themenpunkte und Argumente in Vorbereitung auf das Gespräch aufzuschreiben und diese Notizen als Unterstützung mit ins Gespräch zu nehmen. Es kann ebenfalls helfen, zu versuchen, die eigenen Emotionen zurückzustellen und aus der Situation rauszunehmen. Eine gewisse Sachlichkeit kann unterstützend wirken, wenn über die Sache diskutiert werden soll. Eine mögliche Strategie hierfür kann es sein, sich in der Kommunikationssituation vorzustellen, nicht für sich selbst zu argumentieren oder zu sprechen, sondern für eine andere Person. Diese Art der “agency” kann uns befähigen, klarer, deutlicher und unaufgeregter zu interagieren.

Da Kommunikation keine Einbahnstraße ist, kann es allerdings vorkommen, dass das Gegenüber, also die Betreuungsperson selbst, sich nicht an die Grundlagen einer erfolgreichen Kommunikation hält. In diesem Fall ist es jedoch wichtiger denn je, sich als Doktorand*in auf diese Kommunikationsregeln zu besinnen und sich nicht dazu verleiten zu lassen, diese selbst zu missachten. Insbesondere die Punkte 2 (nicht unterbrechen) und 3 (klar, deutlich, unaufgeregt) können unbenommen weiter eingehalten werden, selbst wenn sich die Betreuungsperson nicht entsprechend verhält. Habt ihr das Gefühl, dass die Betreuungsperson euch nicht zuhört (Punkt 1), gibt es verschiedene Möglichkeiten:

  1. Feedback erbitten: Habt ihr das Gefühl, die Betreuungsperson hört einen von euch gemachten Punkt nicht, so könntet ihr die Betreuungsperson aktiv um Feedback zu dem Punkt bitten. Weist ihr beispielsweise auf ein Argument für gendersensibilisierte Sprache hin, könntet ihr erbitten, dass sich eure Betreuungsperson zu dem spezifischen Argument verhält.

  2. Nachfragen stellen: Habt ihr das Gefühl, eure Betreuungsperson möchte euch nicht zuhören oder versteht euch falsch, so könntet ihr nachfragen, wie die Betreuungsperson einen Punkt verstanden hat oder was von eurer Aussage bei der Betreuungsperson angekommen ist. So können gleichzeitig auch Missverständnisse vermieden werden, die sodann in einem Konflikt enden könnten.

  3. Vertagung des Gesprächs: Habt ihr das Gefühl, einen schlechten Moment oder einen schlechten Tag bei eurer Betreuungsperson erwischt zu haben, haben sich die Gemüter zu sehr erhitzt oder müsst ihr euch und eure Argumente noch einmal sammeln, dann spricht nichts dagegen, das Gespräch zu vertagen und einen neuen Gesprächstermin auszumachen. Wichtig ist es dann, vor einem neuen Termin das vergangene Gespräch zu reflektieren, um Fehlerquellen im vergangenen Gespräch zu identifizieren und nun vermeiden zu können. Noch wichtiger ist es allerdings, trotz des misslungenen Gesprächs die Ruhe zu bewahren, sich gut vorbereiten und möglichst optimistisch in das Gespräch zu gehen, um ein positives Ergebnis erzielen zu können. Im Zweifel ist es besser, das Folgegespräch an einem anderen Tag durchzuführen, um eine Nacht darüber schlafen zu können.

II. Entscheidungsbaum zur Konfliktlösung

Im Folgenden stellen wir einen Entscheidungsbaum zur Verfügung, der helfen soll, bei möglichen Problemen mit Betreuungspersonen eine Strategie zur Lösung dieser Probleme zu finden. Der Entscheidungsbaum verweist teilweise auf den vorherigen oder die nachfolgenden Abschnitte. Die vorgeschlagenen Lösungen oder Handlungsmöglichkeiten sind genau dies: Vorschläge. Sie sollen inspirieren und aufzeigen, dass eine Konfliktsituation nicht ausweglos ist.

Wichtig ist für das Folgende jederzeit, dass die von uns unterbreiteten Vorschläge und Lösungsmöglichkeiten stets abhängig von euren Ressourcen sowie den Erfolgsaussichten einer Diskussion mit den Betreuungspersonen sind. Betroffen sind nicht nur zeitliche Ressourcen, sondern natürlich auch persönliche Ressourcen. Eine gendersensibilisiert verfasste Dissertation kann für den*die Doktorand*in von Bedeutung sein. Sind jedoch die Ressourcen begrenzt und die Erfolgsaussichten gering, sollte dies in die Abwägung mit einfließen, wenn ihr euch eine Strategie zur Konfliktlösung überlegt. Im Vordergrund steht stets eure mentale Gesundheit! Dies gilt umso mehr, als dass das Betreuungsverhältnis leider auch ein Abhängigkeitsverhältnis ist und ein Machtgefälle bestehen kann. Der Konflikt mit Betreuungspersonen offenbart deshalb nicht selten den inneren Konflikt des*der Doktorand*in zwischen der Abhängigkeit von der Betreuungsperson und den eigenen Überzeugungen.

 

Auf dem Bild ist ein Entscheidungsbaum zu sehen, anhand dessen das jeweilige Problem ermittelt werden kann und auch, mit welcher Person das Problem entsteht. Es werden außerdem Lösungsvorschläge gemacht.

Entscheidungsbaum

III. Worin besteht das Problem?

Je nachdem, wie das Betreuungsverhältnis aufgenommen wurde und wie eng es sich gestaltet, wird nicht immer von Anfang an klar sein, wie die Betreuungsperson zur Verwendung gendersensibilisierter Sprache in der Dissertation steht. Sollte sich herausstellen, dass die Verwendung nicht erwünscht ist, ist nicht automatisch vom Einsatz gendersensibilisierter Sprache abzuraten. Vielmehr ist es zielführend, den Grund für die Ablehnung herauszufinden. Quellen können hierbei anderen Doktorand*innen sein, aber auch Kolleg*innen der Betreuungsperson in Hochschulgremien. Auch dort spielt die Entscheidung für oder gegen gendersensibilisierte Sprache bei der Erstellung von Dokumenten eine wichtige Rolle.

Gleich das direkte Gespräch mit der Betreuungsperson zu suchen, kann unter Umständen überstürzt sein. Hinter der Ablehnung können verschiedene Gründe stecken und diese sollten bekannt sein, bevor ein Gespräch stattfindet. So können sprachliche Vorbehalte die Ablehnung hervorrufen. Die Betreuungsperson kann eine bestimmte Art des Genderns ablehnen. Gerade von Jurist*innen werden häufig Bedenken hinsichtlich der Eindeutigkeit von Sprache vorgetragen. Auch gibt es Vorbehalte, Wörter durch Asterix etc. zu verkürzen, wenn die männliche Form nicht mehr korrekt im Wort enthalten ist (Bsp. “Richter*innen” wird angenommen, aber “Jurist*innen” nicht, da die männliche Form “Juristen” nicht mehr im Wort vorkommt). Neben sprachlichen Bedenken kann die Ablehnung auch von der Nichtanerkennung der Marginalisierung bestimmter Gruppen oder von inneren - möglicherweise selbst nicht reflektierten - Vorbehalten gegenüber bestimmten Gruppen herrühren. Ebenso kann aber auch ein undefiniertes Unwohlsein gegenüber dem “neuen” Sprachgebrauch oder Unwissen über die Hintergründe gendersensibilisierter Sprache die Ursache sein.

Diese und noch weitere Ursachen gilt es zu ergründen, bevor im Anschluss das Gespräch mit der Betreuungsperson gesucht werden kann. Dieses Gespräch sollte gut vorbereitet werden, da die eigene Argumentation auf die erkannte(n) Ursache(n) ausgerichtet sein sollte.

Allerdings ist davon abzuraten, dieses Gespräch als Grundsatzdiskussion zu verstehen und das Ziel zu verfolgen, die Betreuungsperson von der eigenen Ansicht überzeugen zu wollen. Vielmehr sollte im Mittelpunkt stehen, eine tragbare Lösung für die Erstellung der eigenen Dissertation zu finden.

Selbst wenn die eigenen Argumente zum Gebrauch gendersensibilisierter Sprache bei der Betreuungsperson nicht durchdringen, kann möglicherweise dennoch ihr Gebrauch in der Dissertation gebilligt werden. Gerade unter Wissenschaftler*innen wiegt nämlich das Argument, den eigenen Text nach den eigenen Vorstellungen erstellen zu können, schwer. Bei der Dissertation hat dieses Argument besondere Überzeugungskraft: die meisten Doktorand*innen schreiben doch nur eine solche Arbeit und haben damit auch nur diese eine Gelegenheit, sie in ihrer gewünschten Sprache zu erstellen.

Eine ähnliche Problematik kann hinsichtlich rassismussensibilisierter Sprache auftreten. Hier muss im Einzelfall entschieden werden, ob ein auftretender Dissens mit der Betreuungsperson durch ein Gespräch zu lösen ist. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, mit den verwendeten Begriffen bzw. den zu vermeidenden Begriffe umzugehen und ihren Gebrauch bzw. Nichtgebrauch festzulegen. Einmal als Sprachgebrauch definiert, kann die Dissertation konsequent rassismussensibilisiert gestaltet werden. Falls durch ein Gespräch keine Klärung zu erwarten ist, gibt es an den Universitäten Stellen (u. a. Gleichstellungs- und Chancengleichheitsbeauftragte, Schwerbehindertenvertretung, Personalrat), die bei einem Konflikt beratend und intervenierend zur Seite stehen. Daneben kann der Austausch unter Promovierenden (an der Universität, in Stipendiumsprogrammen, im DokNet, der Doktorandinnen-Vernetzung im djb) hilfreich sein.

IV. Mit wem gibt es das Problem?

Das zuvor beschriebene Problem kann sowohl mit der ersten als auch der zweiten Betreuungsperson auftreten. Um einen ersten Eindruck vom Standpunkt der Betreuungspersonen zur Verwendung gendersensibilisierter Sprache zu bekommen, können beispielsweise die bereits zuvor erwähnten Stellen wie das Gleichstellungsreferat, die Schwerbehindertenvertretung oder der Fachbereich der Fakultät, die Promovierendenwerkstatt, Stipendiat*innenwerke oder Arbeitskreise von Doktorand*innen kontaktiert werden. Gerade Arbeitskreise mit anderen Doktorand*innen bieten die Chance, sich zusammenzuschließen und das Problem mit der Betreuungsperson bei den entscheidenden Stellen gemeinsam zu adressieren (“Banden bilden”).

Soweit die erste Betreuungsperson offen für eine Verwendung gendersensibilisierter Sprache ist oder davon überzeugt werden konnte, bestehen mehr Möglichkeiten, in diese Richtung auf die zweite Betreuungsperson einzuwirken. Es gilt also zunächst, die erste Betreuungsperson von einer Verwendung gendersensibilisierter Sprache zu überzeugen (s. die Argumente für gendersensibilisierte Sprache). Dafür kann zum Beispiel auch durch die Verwendung gendersensibilisierter Sprache in anderen Publikationen oder in der Kommunikation mit der Betreuungsperson “vorgefühlt” werden. Wenn dieses “Vorfühlen” zu keiner ablehnenden Reaktion führt, bietet sich durchaus an, die eigenen Texte in gendersensibilisierter Sprache zu verfassen, ohne zuvor ausdrücklich das Gespräch mit der Erstbetreuung zu suchen. Führt das “Vorfühlen” jedoch zu einer Diskussion und scheitert in deren Rahmen ein Überzeugungsversuch, ist auf den nachfolgenden Abschnitt zu verweisen. Dort wird diskutiert, ob in diesem Falle erst bei der Veröffentlichung der Arbeit gendersensibilisierte Sprache verwendet werden sollte.

Ist die Überzeugung der ersten Betreuungsperson gelungen, kann aber die Zweitbetreuung erneut Schwierigkeiten bereiten. Sollte die erste Betreuungsperson zur Zweitbetreuung eine Person vorschlagen, von der bereits bekannt ist, dass sie gendersensibilisierter Sprache eher ablehnend gegenübersteht, bietet sich diesbezüglich ein erneutes Gespräch mit der ersten Betreuungsperson an. In diesem Gespräch könnten die Bedenken hinsichtlich der Auswahl der zweiten Betreuungsperson geteilt werden. Einer Lösung zuträglich ist sicher, in dieses Gespräch bereits mit ein oder zwei Alternativvorschlägen zu gehen. Zudem ist hilfreich, bereits frühzeitig den Wunsch zu kommunizieren, eine für gendersensibilisierte Sprache offene Zweitbetreuung zu erhalten, um diesbezügliche Konflikte zu vermeiden.

Maßgeblich ist also, dass die erste Betreuungsperson vollständig in die Bedenken und die möglichen Lösungen mit einbezogen wird. Ein Alleingang durch Kontaktaufnahme zur zweiten Betreuungsperson sollte vermieden werden, selbst wenn diese und der*die Doktorand*in ein gutes Verhältnis zueinander pflegen. In jedem Falle ist zu berücksichtigen, dass es sich letztlich nur um die Zweitbetreuung handelt, die regelmäßig lediglich in einem beschränkten Maße von der Beurteilung der Erstbetreuung abweicht. Entscheidend ist damit die Überzeugung der ersten Betreuungsperson von einer Verwendung gendersensibilisierter Sprache in der eigenen Dissertation, damit jene im Falle eines Konfliktpotentials mit der zweiten Betreuungsperson das Gespräch suchen kann. In Absprache mit der ersten Betreuungsperson kann natürlich der*die Doktorand*in den Kontakt auch selbstständig aufnehmen. Besteht bereits ein Konflikt oder ist dieser deutlich absehbar, können natürlich auch Konfliktlösungs- und Mediationsstellen an der Universität miteinbezogen werden. Falls weder die Überzeugungsversuche der ersten gegenüber der zweiten Betreuungsperson von einer Verwendung gendersensibilisierter Sprache erfolgreich sind, noch eine andere Person zur Zweitbetreuung in Betracht kommt, kann auch an dieser Stelle erneut auf den nachfolgenden Abschnitt verwiesen werden. Abschließend ist jedoch anzumerken, dass es stets eine individuelle Entscheidung der Doktorand*innen ist, wie intensiv der Konflikt mit der Betreuungsperson geführt werden möchte und wo die persönlichen Grenzen liegen - ein Betreuungswechsel ist im äußersten Notfalls selbstverständlich auch stets eine, wenn auch zeitaufwendige und psychisch belastende, Option.

V. Gendersensibilisierte Sprache erst bei der Veröffentlichung der Arbeit?

Scheint es nicht (mehr) möglich, sich mit der erst- oder zweitbetreuenden Person über die Verwendung gendersensibilisierter Sprache einvernehmlich zu einigen, kommt schnell das Dilemma: Gendersensibilisierte Sprache verwenden und sich dem Unmut der Betreuungsperson(en) aussetzen oder keine gendersensibilisierte Sprache verwenden und deshalb sprachlich diskriminieren?

Fällt die Entscheidung darauf, weiterhin gendersensibilisierte Sprache zu verwenden, obwohl Betreuungspersonen sich dagegen aussprechen, sollte das Bewusstsein dafür bestehen, dass sich dies negativ auf die Bewertung der Arbeit auswirken kann. Ob die gendersensibilisierte Sprache ein zulässiges Bewertungskriterium ist, wurde bisher vor allem dahingehend diskutiert, ob Prüfungsleistungen schlechter bewertet werden dürfen, wenn keine gendersensibilisierte Sprache verwendet wird. Sachs kommt hier zu dem Ergebnis, dass “gendergerechte Sprache” durchaus als Maßstab für Bewertungen zulässig ist, sofern dies “für die abzunehmende Prüfung nicht sachfremd ist und dadurch zugleich einen entsprechenden allgemein gültigen Bewertungsmaßstab verletzt”.1 Ob hingegen die Verwendung nicht-gendersensibilisierter Sprache ein Bewertungskriterium sein kann, bleibt offen. Beachtenswert ist allerdings, dass die Bewertung juristischer Arbeiten nicht vollständig objektiv nachvollziehbar ist. Die Rechtswissenschaft ist keine objektive Wissenschaft, sondern subjektiver Natur. Dies bedeutet, dass die Bewertung juristischer Arbeiten ebenfalls subjektiv geprägt und nur in Maßen nachvollziehbar ist. Ob sich also die Verwendung gendersensibilisierter Sprache negativ auf die Bewertung auswirkt, kann im Zweifel nicht nachvollzogen werden. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass sich Gutachter*innen in ihrer Bewertung von der Verwendung gendersensibilisierter Sprache beeinflussen lassen.

Hingegen kann der Verzicht auf gendersensibilisierte Sprache natürlich den eigenen Überzeugungen widersprechen und ist besonders problematisch, da die persönliche Integrität für eine erfolgreiche Dissertation eine große Bedeutung hat.

Es erscheint deshalb notwendig, eine Lösungsmöglichkeit für das Dilemma zu finden bzw. der/den Betreuungsperson(en) einen Kompromiss vorzuschlagen. So könnte die Auflösung des Dilemmas darin liegen, erst bei der Veröffentlichung der eigenen Arbeit und nicht bereits bei der Abgabe zur Korrektur gendersensibilisierte Sprache zu verwenden. Dies hätte den Vorteil, dass sich die Betreuungspersonen nicht einer gendersensibilisierten Arbeit für die Korrektur “ausgesetzt” sähen und sich dies auch nicht negativ auf die Benotung auswirken könnte. Damit einher geht sicherlich der Kompromiss, im Disputationsvortrag ebenfalls keine gendersensibilisierte Sprache zu verwenden.

Schnell entstehen hiergegen jedoch zwei Bedenken: Ist es nicht sehr aufwändig, die eigene Arbeit im Nachhinein noch einmal zu gendern? Und wenn ich gendersensibilisierte Sprache richtig und wichtige finde und nun meines eigenen Vorteils willen bei der Abgabe zur Korrektur keine gendersensibilisierte Sprache verwende, trage ich dann nicht auch zur sprachlichen Diskriminierung bei?

Nachträgliches Gendern

Dem ersten Punkt ist zuzustimmen. Je nach Umfang der eigenen Arbeit kann das nachträgliche Gendern durchaus zeitintensiv sein. Da vor einer Veröffentlichung jedoch in der Regel noch das Feedback der Betreuungspersonen eingearbeitet wird, bietet dieser Zeitraum auch die Möglichkeit, gendersensibilisierte Sprache einzuarbeiten.

Auch folgender “Trick” könnte in Betracht gezogen werden: Die eigene Arbeit wird zunächst mit gendersensibilisierter Sprache geschrieben, vor der Abgabe wird eine “ent-genderte” Version erstellt, an der gegenderten Arbeit kann dann das Feedback eingearbeitet werden. Das “Ent-gendern” für die Abgabe könnte zeitsparender sein als das Gendern für die Veröffentlichung, da - je nach gewählter Methode - der Asterisk oder auch der Genderdoppelpunkt durch die Word-Funktion “Suchen” ausfindig gemacht und umgeändert werden könnte.

Diskriminierende Sprache in der zur Korrektur eingereichten Version

Den Bedenken, zur sprachlichen Diskriminierung beizutragen, da bei der zur Korrektur eingereichten Version keine gendersensibilisierte Sprache verwendet wird, können folgende Überlegungen entgegengesetzt werden:

Die Verwendung gendersensibilisierter Sprache ist ein Beitrag dazu, Sprache inklusiver zu gestalten, mehr Geschlechtsidentitäten abzubilden und die Gleichberechtigung zu fördern. Mit Betreuungspersonen hierüber zu verhandeln, lohnt sich also definitiv. Aber nicht um jeden Preis. Gleichberechtigung durch Sprache steht und fällt nicht mit jedem Text, den wir schreiben, erst recht nicht, wenn dieser Text nicht veröffentlicht wird. Die Ziele, die durch die Verwendung gendersensibilisierter Sprache erreicht werden wollen, können auch verwirklicht werden, wenn erst die fertige Veröffentlichung gendert. Die abgegebene Version der eigenen Arbeit ist nicht die endgültige Version, die “das Licht der Welt erblicken” wird. Einen Beitrag zu inklusiverer, rechtswissenschaftlicher Sprache leistet vor allem die veröffentlichte Arbeit. Erst dann wird die Verwendung gendersensibilisierter Sprache auch für die Außenwelt sichtbar.

Besteht ein Konflikt mit den Betreuungspersonen, hat diese Variante auch den entscheidenden Vorteil, dass die Ressourcen des*der Doktorand*in geschont werden. Die Betreuungsbeziehung ist (leider) auch eine Abhängigkeitsbeziehung - eine Tatsache, der sich viele Doktorand*innen leidlich bewusst sind. Während manche Betreuungspersonen der Verwendung gendersensibilisierter Sprache offener gegenüber stehen, lehnen andere Betreuungspersonen dies konsequent ab. Der Streit für eine gendersensibilisierte Version bei der Abgabe sollte deshalb auch nur dann geführt werden, wenn Aussicht auf Erfolg besteht. Besteht dies nicht, könnte die Betreuungsbeziehung geschützt werden, wenn gendersensibilisierte Sprache erst in der Veröffentlichung der Arbeit verwendet wird.

Absprache mit Betreuungspersonen

Wird sich für diese Lösungsmöglichkeit entschieden, sollte dies mit den Betreuungspersonen abgesprochen werden, da Veränderungen an der Arbeit zwischen der Abgabe und der Veröffentlichung in der Regel abgestimmt werden müssen. Wie bereits erwähnt, ist diese Lösung ein Kompromissvorschlag, der Betreuungspersonen unterbreitet werden kann. Der Konfliktlösung zuträglich ist es dabei sicherlich, wenn diese Lösung auch als Kompromiss bezeichnet wird.

Dieser Kompromissvorschlag könnte verknüpft werden mit dem Angebot, die Betreuungsperson(en) im Vorwort nicht zu erwähnen, sollten diese nicht mit gendersensibilisierter Sprache assoziiert werden möchten. Beachtet werden sollte in jedem Fall, dass auch dieser Punkt kurz mit der Betreuungsperson abzusprechen ist.

Im weiteren Verlauf sollte dann außerdem ein Verlag für die Veröffentlichung ausgesucht werden, der gendersensibilisierte Publikationen ermöglicht.

Konflikte mit Betreuungspersonen können somit durch die Verwendung gendersensibilisierter Sprache erst bei der Veröffentlichung der Arbeit entschärft werden. Diese Lösungsmöglichkeit hat das Potential, beide Seiten zufrieden zu stellen und die Betreuungsbeziehung so zu entlasten.

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