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Linguistik, Gender und Recht

Published onOct 05, 2023
Linguistik, Gender und Recht
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I. Kapitelüberblick1

Der Leitfaden “Gendern in der Dissertation” ist praxisorientiert und konzentriert sich daher vor allem auf Fragen der Verwendung gender- und diskriminierungssensibilisierter Sprache in rechtswissenschaftlichen Qualifikationsarbeiten. Nichtsdestotrotz ist es sinnvoll und hilfreich, sich mit den Vorannahmen und Hintergründen des Themas zu beschäftigen, denn sie begründen die Notwendigkeit einer kritisch-reflexiven Befassung mit Sprache, Gender und Recht. Dazu dient dieses Kapitel.2 Es ist primär an diejenigen Menschen adressiert, die sich über das “Ob” des Themas vertieft(er) informieren wollen.

Das Kapitel ist nach dem Baukastenprinzip aufgebaut: Zu Beginn erfolgt ein kurzer Einstieg in linguistische Grundlagen (dazu unter II.), insbesondere wird der – für Rechtsbegriffe nicht irrelevante – Streit um das Zeichen kurz umrissen. Nach diesem linguistischen Einstieg wird sich sodann der Schnittstelle von Linguistik und Gender anhand einer kleinen Auswahl von Problemfeldern gewidmet (dazu unter III.). Zuletzt wird der Nexus von Linguistik, Gender und Recht näher beleuchtet (dazu unter IV.).

II. Linguistische Grundlagen

Ziel dieses Unterkapitels ist es, einen Einstieg in linguistische Grundlagen zu geben. Dieser Einstieg beginnt mit einem kursorischen Überblick über verschiedene Dimensionen des Erkenntnisgegenstands “Sprache” (1.), bevor es sodann – für den Leitfaden entscheidend – um sprachliche Zeichen gehen wird (2.).

1. Sprache

“Sprache” zu definieren, ist kein leichtes Unterfangen. Denn je nach Erkenntnisinteresse umfasst das Phänomen “Sprache” verschiedene Aspekte: Sprache kann als System verstanden werden, oder aber auch als Zusammenspiel kommunikativer Handlungen, sie kann als soziales Kennzeichnen fungieren und identitätsstiftend wirken,3 sie kann aber auch als Mittel der Macht eingesetzt und ausgrenzend wirken. Sprache kann verschiedene Formen annehmen, sie kann schriftlich, mündlich oder mittels Gebärden erfolgen.4 Sprache kann normalisierend oder emanzipierend sein, sie kann als staatlicher Standard gesetzt oder aber als regionaler Dialekt eine Variation davon sein.5 Sie kann in verschiedenen Gemeinschaften bereichsspezifische Varietäten aufweisen, zum Beispiel Fachsprachen. Sprache kann verschiedene Funktionen haben, sei es als direktes Mittel des Austausches und der Kommunikation6 oder als indirektes Mittel von Symbolen und Wissensbeständen,7 sie kann mit verschiedenen Werten aufgeladen sein, sei es als instrumentelles Mittel eines Austausches oder aber mit besonderen immateriellen Qualitäten. Derzeit existieren weltweit zwischen 6.000 und 7.000 Sprachen,8 wobei die Vereinten Nationen auf internationaler Ebene regelmäßig eine Liste “bedrohter” Sprachen veröffentlichen.9 Sprache ist nach Art. 2 Abs. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sogar eine mögliche Diskriminierungskategorie, die auch in Art. 3 Abs. 3 GG angeführt wird.10 Sprache kann auch Gegenstand rechtlicher Regulierung sein.11

Bereits diese kurze Übersicht zeigt: Fast jede Definition ist mit Ausschlüssen verbunden. Es ist daher äußerst schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, eine abschließende Definition darüber zu geben, was Sprache ist oder wie sie funktioniert. Dennoch möchte ich zwei Verständnisse von Sprache vorschlagen, nämlich Sprache als System und Sprache als Handlung. Es handelt sich hierbei um zwei linguistische Traditionen, die für diesen Leitfaden und das rechtswissenschaftliche Arbeiten von Interesse sein können, da auch das Recht sowohl als System wie auch soziale Praxis eingestuft wird. Um die Darstellung der verschiedenen Sprachverständnisse anschaulicher zu gestalten, konzentriert sich diese auf den Streit um das sprachliche Zeichen. Dazu nun im nächsten Gliederungspunkt mehr.

2. Streit um das sprachliche Zeichen

Worum es bei dem Streit um das sprachliche Zeichen geht, veranschaulicht ein Zitat aus dem juristischen Standardwerk “Rechtstheorie und Juristische Methodenlehre” von Rüthers/Fischer/Birk. Dort heißt es in Rn. 196, dass es sich bei einer Definition “um die Festlegung der Bedeutung bzw. des Gebrauchs eines sprachlichen Zeichens [handelt]”.12 Diese Defintion kommt für Menschen, die Jura machen, ohne linguistische Vorkenntnisse scheinbar einleuchtend daher, ist jedoch trügerisch. Hinter dieser vermeintlichen Gleichsetzung von Bedeutung und Gebrauch verbirgt sich ein immer noch andauernder Streit um das sprachliche Zeichen, der sich darum dreht, ob dieses über eine abstrakt-generelle Bedeutung verfügt oder sich die Bedeutung nur im konkret-spezifischen Gebrauch erschließen lässt. Dieser Streit berührt überwiegend sprachtheoretische und philosophische Fragen, ist aber auch für den Umgang mit Rechtsbegriffen nützlich.

Die strukturalistische Linguistik, unter anderem von Ferdinand de Saussure gegründet,13 liefert eine Zeichendefinition, die auf die abstrakte Bedeutung abstellt. Um die Sprache von einem alltäglichen Phänomen zu einem eigenen wissenschaftlichen Erkenntnisgegenstand zu erheben, hat Saussure das reelle Sprachphänomen von seinem konkreten sozio-materiellen Kontext “entfernt” und mittels Abstraktionen und Generalisierungen derart verallgemeinert, dass Sprache nach Saussure “universell” ist.14 Dieser Logik zufolge ist Sprache ein überindividuelles System von Zeichen, das in den Köpfen aller Menschen vorhanden ist.15 Dafür definiert er einen eigenen sprachlichen Zeichenbegriff und zwar als “etwas im Geist tatsächlich Vorhandenes, das zwei Seiten hat”, nämlich die Vorstellung und das Lautbild.16 Um das mittels eines Beispiels von Saussure zu veranschaulichen, ist das Bild eines Baumes die ideelle Vorstellung (sog. Signifikat), während das Lautbild “B-a-u-m” die materielle Form des wahrgenommenen Ausdrucks (sog. Signifiant) meint. Das überwiegend grüne Ding mit Ästen wird in der deutschen Sprache als “Baum” bezeichnet, während die französische Sprache dafür die Bezeichnung “arbre” verwendet, obwohl es sich dabei um Lautbilder für ein und dieselbe Vorstellung handelt.17 Fortschrittlich an Saussures Zeichenbegriff ist, dass er mit der bis dahin vorherrschenden Repräsentationstheorie von Zeichensystemen – wonach sprachliche Zeichen für einen bestimmten Gegenstand oder für eine bestimmte Gegebenheit in der Welt stehen und diese(n) lediglich “repräsentieren” – bricht. Saussure sieht Sprache vielmehr als ein arbiträres Zeichensystem, dem gerade keine “natürliche” Beziehung zwischen dem Bezeichnetem (Vorstellung) und dem Bezeichnendem (Laut) innewohnt.18 Jedoch beruht seine Sprachdefinition auf einer strikten Trennung, wenn nicht sogar Gegensätzlichkeit, zwischen dem Aspekt der Sprachverwendung, d.h. den aktuellen Äußerungen (sog. “parole”) und dem Aspekt des Sprachsystems, d.h. der zugrundeliegenden Ordnung sprachlicher Zeichen (sog. “langue”).19 Die universale Sprache, die “langue” als abstrakter Code, ist nach Saussure alleiniger Gegenstand der sprachtheoretischen Erkenntnis.20 Die Bedeutung eines sprachlichen Zeichens ergibt sich daher aus seiner systematischen Stellung im Strukturgefüge. So schreibt Saussure: “Diese Zeichen wirken und gelten also nicht vermöge eines in ihnen selbst enthaltenen Wertes, sondern ihre Geltung beruht auf ihrer gegenseitigen Stellung.”21 Eine so verstandene Sprachkonzeption blendet zweierlei aus: Einerseits die Einbettung der Sprache in kulturelle Zusammenhänge, indem sie stattdessen auf der Fiktion einer homogenen Gesellschaft aufbaut (die nicht existiert), und andererseits den noch konkreteren Kommunikationskontext.22 Diesem Sprachverständnis zufolge werden Zeichen aus der Sprache selbst bestimmt, ohne reellen Bezugspunkt, sodass Sprache ein System aus bloßen Werten ist. Übertragen auf das rechtswissenschaftliche Arbeiten ließe sich die Rechtssprache als ein geschlossenes System denken, in dem konkrete Rechtsbegriffe – unabhängig vom Kontext der jeweiligen konkreten Verwendung – universelle Geltung haben. Wenn dem jedoch so wäre, bedürfte es keiner Begriffsklärungen, da Begriffe mitsamt ihren Abgrenzungen klar wären.

Ein Gegenmodell liefert die pragmatische Linguistik, die Sprache nicht als abstraktes System begreift, sondern sich mit der situativen Verwendung von Sprache beschäftigt.23 Pragmatik befasst sich mit konkreten sprachlichen Handlungen und fragt, was die sprechenden Menschen damit erreichen wollen und können.24 Karl Bühler wird die Entwicklung eines dreiteiligen Zeichenbegriffs zugeschrieben, der den Handlungsaspekt von Sprache wie auch die Fundierung der Sprache im Handeln herausstellt.25 Das von Bühler entwickelte Zeichen (sog. “Organonmodell”) umfasst nicht nur das Lautbild als Ausdruck und den Gegenstand als Vorstellung, sondern zieht auch den konkreten Kontext mitsamt sprechendem und empfangendem Mensch ein.26 Ein solches pragmatisches Sprachverständnis erlaubt daher, neben der Bedeutung, die in der Sprache (bei Saussure sog. “langue”) liegt, auch den konkreten Sinn in der Verwendung (bei Saussure sog. “parole”) mit einzubeziehen. Charles S. Peirce und Charles W. Morris sind zwei bekannte Namen in der Pragmatik, die sprachliche Zeichen stets in ihren konkreten Verwendungszusammenhängen thematisieren. Auch in Ludwig Wittgensteins späteren Werken befindet sich die Erkenntnis, dass der Gebrauch der Sprache gleich ihrer Bedeutung ist, sich Sprache also nur im konkreten, kontextuellen Vollzug realisiert.27 Ein bekannter Teilbereich der linguistischen Pragmatik, der diese Idee fortführt, ist die Sprechakttheorie von John L. Austin und John R. Searle.28 Sie widmet sich der Frage, was es genau bedeutet, zu sprechen, sprich Sprache zu “tun”. Wie die Nennung dieser paar Namen bereits zeigt, gibt es eine Vielzahl an Versuchen, die Ausklammerung der von Saussure gemünzten “parole” aus der Sprachdefinition rückgängig zu machen. Kommunikation ist stets an ihren Kontext gebunden, sodass dieser auch Teil der Sprachdefinition sein sollte. Diese Positionen zu bündeln, versucht u.a. Thomas Metten, der 2014 ein Forschungsprogramm der kulturwissenschaftlichen Linguistik vorschlug.29 Hierin knüpft er an viele der soeben erwähnten Desiderate an und versucht – in Anbetracht ihrer Lücken – einen “Übergang von einer Wissenschaft der Sprache zu einer linguistischen Kulturforschung, die im Ausgang von sprachlich-kommunikativen Phänomenen die Analyse kultureller Zusammenhänge betreibt”30 zu ermöglichen. Diesem Sprachverständnis zufolge wäre Rechtssprache ein soziokulturelles Phänomen, sodass ein Rechtsbegriff unterschiedliche Bedeutungen haben könnte, die stets von dem Kontext der jeweiligen Verwendung abhängen.

Nach der Darstellung dieser zwei Sprachverständnisse erscheint die obige Definition des juristischen Lehrbuchs umso verblüffender, da sich zwischen der abstrakt-begrifflichen Bedeutung und dem konkret-pragmatischen Gebrauch sprachkonzeptionelle Welten auftun: Während Erstere von statischen, universalen Prinzipien ausgeht, interessiert sich Letztere für dynamische Einzelfallbeobachtungen. Dass Rechtsbegriffe stets Gegenstand systematischer Abgrenzungen sind, da sie in verschiedenen Kontexten verschiedene Bedeutungen haben können, scheint vor dem Hintergrund des stets gepredigten Systemdenkens im und von Recht einleuchtend; Beispiele für kontextuelle Analysen sind eher selten. Cara Röhner macht in ihrer Dissertation “Ungleichheit und Verfassung” einen Vorschlag am Beispiel öffentlich-rechtlicher Fragen.31 Für das Zivil- wie Strafrecht verdeutlicht der rechtliche Umgang mit Hassrede exemplarisch die Relevanz einer pragmatischen Analyse.32 Da insbesondere in der Rechtswissenschaft mit Definitionen als sprachliche Zeichen gearbeitet wird, ist es wichtig, sich dieser verschiedenen Konzeptionen reflexiv bewusst zu werden. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass die Auswahl von Definitionen immer auch eine Frage der Macht ist; das haben mehrere feministische Forschende herausgearbeitet.33 Sprache ist als Ausdruck und Ergebnis von sozialen Normen daher nie vollkommen neutral ist, sondern immer auch umkämpft.34 Dazu nun im zweiten Teil.

III. Linguistik und Gender

Nach den vorigen sprachtheoretischen Grundlagen widmet sich dieses Kapitel nun den sich in der Sprache manifestierenden Machtverhältnissen. Zu Beginn wird das Genderverständnis des Leitfadens vorgestellt (1.), bevor sodann eine Handvoll an linguistischen Ungerechtigkeiten aufgezeigt wird (2.).

1. Genderverständnis

Der Leitfaden thematisiert v.a. gendersensibilierte Schriftsprache, sodass eine Klärung des Genderbegriffs naheliegend erscheint. In Anbetracht der Tatsache, dass es mit Gender Studies einen eigenständigen Studiengang zur Thematik gibt, sollte verständlich sein, dass eine abschließende “Klärung”, insbesondere im Rahmen des Umfangs dieses Leitfadens, weder möglich noch sinnvoll ist. Das Ziel ist stattdessen, eine erste Sensibilisierung zur Thematik zu ermöglichen, um die damit verbundenen Komplexitäten näher aufzuzeigen.

Wenn auch von Judith Butler als unnötige Reproduktion von Binarität klargestellt, fängt dieser Leitfaden bei der dichotomen Trennung zwischen Geschlecht und Gender an. Während dies hilfreich für manche Lesende sein kann, ist die Reproduktion dieser Binarität ausgrenzend, sodass häufig Anführungszeichen gewählt werden, um die Distanz zu gewissen Aussagen zu verdeutlichen. Geschlecht wird herkömmlich als “natürliche” Eigenschaft angenommen, die Menschen “haben”.35 Zur Begründung wird überwiegend die Biologie angeführt, welche – einer naturalistischen Anschauung zufolge – biologische Geschlechtsbestimmungen belege.36 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass es in der Biologie gar nicht mal so eindeutig ist.37 Es handelt sich bei dem Anknüpfen an die äußeren morphologischen Geschlechtsmerkmale um keine eindeutige Definition der Geschlechtszugehörigkeit, da diese - neben Keimdrüsen, Chromosomen oder Hormonspiegel - nur eine unter mehreren möglichen Geschlechtsbestimmungen sind und die Anknüpfung an die äußeren morphologischen Geschlechtsmerkmale daher nicht zwangsläufig, sondern arbiträr ist.38 Diese Anknüpfung lässt aber den Rückschluss auf die damit verknüpfte Fortpflanzungsfunktion zu. Diese unterschiedlichen Funktionen lassen sich als ein bestimmendes Fundament von sozialen Geschlechterdifferenzieren anführen.39 Dabei werden aus den körperlichen Fortpflanzungsfunktionen spezifische Charaktermerkmale abgeleitet und ein ursächlicher Zusammenhang von körperlichen Funktionen mit bestimmten Eigenschaften und Fähigkeiten, Identitäten und Rollen unterstellt.40 Jedoch lässt sich auch hier keine Verknüpfung zwischen diesen Geschlechtsmerkmalen und dem Vorliegen von konkreten persönlichen Charaktereigenschaften herstellen.41 Stattdessen sind die typischerweise mit entweder “Männlichkeit” oder “Weiblichkeit” verbundenen Eigenschaften historisch und soziokulturell variierende Vorstellungen und Leitbilder. Diese “Ordnung der Zweigeschlechtlichkeit unterwirft dabei nicht nur Frauen und Männer den Normen von Weiblichkeit und Männlichkeit, sondern schließt auch alle Identitätsformen aus der Normalität als nicht lebbar aus, die sich nicht eindeutig einem dieser zwei Geschlechter zuordnen lassen.”42 Dies trifft insbesondere nicht-binäre und intergeschlechtliche Menschen, aber auch (binäre) trans Personen, die die Binarität von Geschlecht durch das Aufbrechen der Statik ebenfalls in Frage stellen. Die Ordnung hat daher auch reelle Auswirkungen. Heteronormative Geschlechterverhältnisse sind somit kein Ergebnis von vermeintlich “natürlichen” Gegebenheiten, die sich biologisch ableiten lassen, sondern ein soziokulturell-historisches Produkt, welche tief in unserer gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit verwurzelt sind und eine gesellschaftliche Funktion erfüllen will.43 Wenn wir uns nun von einem biologistischen Verständnis abwenden, das weder aus den äußeren Geschlechtsmerkmalen auf ein Geschlecht schließen will, noch daraus ableitend irgendwelche persönlichen Merkmale, können wir Geschlecht als sozial konstruierte Kategorie verstehen.44 Um diese Differenzierung zu verdeutlichen und auf die soziokulturelle Dimension der Kategorie hinzuweisen, wird auch häufig von Gender (statt von Geschlecht) gesprochen.45 Dies ermöglicht es, die Wechselwirkungen und Verschränkungen der vermeintlich biologischen Kategorie in strukturelle Verhältnisse, kulturelle Wertordnungen und subjektive Identitäten zu verstehen und zu dekonstruieren.46 In diese Richtung argumentiert auch Judith Butler, die – wie von West und Zimmerman zuvor festgehalten47 – Gender als ein “Tun”, eine performative Praxis, erachtet. Doing Gender meint daher, dass dem Verhalten keine geschlechtlich bestimmte Identität zugrunde liegt, sondern, dass diese gerade durch das Verhalten konstituiert wird, die vermeintlich ihr Resultat sind.48 Wenn Gender nicht als biologische Eigenschaft, sondern als soziale Praxis verstanden wird, ist ein Blick auf die sozialen Machtverhältnissen, die zu dessen (Re-)Produktion beitragen, naheliegend.

Machtverhältnisse sind ein für die Rechtswissenschaft wenig geläufiger Begriff; sie finden sich eventuell im Arbeits-, Miet- und Verbraucherrecht, wo ungleiche Ausgangslagen und strukturelle Gefälle thematisiert werden. Die hiermit gemeinten Machtverhältnisse sind jedoch tiefgreifender als diese punktuellen vertraglichen Asymmetrien, da sich diese – wie z.B. durch Betriebsrät*innen, Inkassounternehmen oder aber auch Musterfeststellungsklagen – bei entsprechendem politischen Willen korrigieren ließen. Es handelt sich um historisch gewachsene Ungleichheitsverhältnisse, deren Ursprünge sich manchmal genau(er) beziffern lassen, manchmal nicht. Diskriminierungen im Sinne des Rechts sind Stigmatisierungen, Benachteiligungen und Ausgrenzung von gesellschaftlicher Teilhabe, die auf historisch, strukturell und diskursiv verfestigten Ungleichheiten beruhen. Während sich viele Diskriminierungskategorien bereits in Rechtstexten auffinden, sind diese nicht vollständig.49 Diese Ungleichheiten treten jedoch selten allein auf; oft bedingen sie einander. Um diese Verstrickungen mehrerer Macht- und Diskriminierungsformen aufzudecken, bedarf es einen intersektionalen Blicks.50 Kimberlé Crenshaw gilt als begriffsprägend für den Begriff der Intersektionalität,51 wenn es auch vor und zeitgleich mit Crenshaw bereits weitere Ansatzpunkte und Ideen hierzu gab.52 Regelmäßig sind mehrere Diskriminierungskategorien in ihren Entstehungs- und Wirkungsweisen miteinander verwoben und führen in ihren Überschneidungen zu einer Potenzierung, die sich jedoch auch nicht einfach addieren lassen.53 Weißsein als sozial konstruierte Kategorie beschreibt daher nicht lediglich und nicht primär die Hautfarbe eines Menschen (wie Geschlecht auch keine vermeintlich biologische Eigenschaft meint), sondern eine zugewiesene Position in einer bestimmten sozialen Beziehung einer rassistisch strukturierten Gesellschaft. Diese Positionierung erlaubt Rückschlüsse auf diskriminierende Erfahrungen, die an diese relationale Positionalität geknüpft sind.54 Tatsächlich wird das biologistische Konzept der “Rasse” im 19. und 20. Jahrhundert durch vielfältige Diskurse mitgeprägt, in denen eine hierarchische Zweigeschlechterordnung, heterosexuelle Familien- und Staatsmodelle und bürgerliche Klassenverhältnisse mit natur- und humanwissenschaftlichen Diskursen zu Natur und Kultur verquickt werden.55 Dies ist ein Beispiel, inwiefern Rassismus, Sexismus und Nationalismus aufeinander bezogen sind und sich gegenseitig verstärken. Auch der Widerspruch von Kapital und Arbeit ist auf komplexere Art sowohl mit der Trennung in öffentliche und private Sphäre als auch mit (post-)kolonialen Ressourcenzugängen verbunden, sodass kapitalistische Wertschöpfung auf vergeschlechtlichte, rassialisierte und ethnisierte Arbeit angewiesen ist.56 Es ist daher wichtig im Hinterkopf zu behalten, dass eine feinsäuberliche Abgrenzung zwischen einzelnen Diskriminierungskategorien eine Fiktion ist. Wie Martha Minow bereits festgehalten hat: “It drags some people into categories who do not belong, or leave some out, all the while enshrining the categories as permanent and immovable.”57 Um Gender nicht verkürzend und reduzierend in den Blick zu nehmen, ist es wichtig, sich mit den vielfältigen Dimensionen von Gender zu beschäftigen und mehrere Dimensionen der Ungleichbehandlung von Gender zusammenzudenken. Insbesondere ist es an uns allen, sich dieser Dimensionen bewusst zu werden und kritisch zu reflektieren, wer vom jeweils zugrundegelegten Genderverständnis eigentlich umfasst ist.

Wichtig ist daher, Gender intersektional zu denken und darauf zu achten, binäre Normen und Normierungen nicht (unnötigerweise) zu reproduzieren. Die Kategorie “Frau” ist nicht natürlich gegeben, sondern wird von uns erst erschaffen. Das heißt aber nicht, dass Diskriminierungen nicht real sind: Es gibt Menschen, die benachteiligt werden, weil behauptet wird, dass sie Merkmale zeigen, die auf ihre biologische Rolle in der Fortpflanzung hinzuweisen scheinen. Um zu diesen Menschen zu gehören, müssen aber weder Eierstöcke noch eine Vagina vorhanden sein. Die Zuschreibung, eine “Frau” zu sein, gilt meist lebenslang und strukturiert alle Aspekte des Lebens, genau wie Race, wohingegen Class Menschen nicht gleichermaßen körperlich zeichnet. Sally Haslanger plädiert für eine andere (Be-)Deutung der Kategorie Gender.58 “Eine stillende Person” oder “eine schwangere Person” könnten nach Haslanger auch Gender sein. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zur Dritten Option auch durchgängig von der “beschwerdeführenden Person” gesprochen.59 Es liegt auf der Hand, dass eine nachhaltige Bezeichnung jenseits von hierarchischen Binaritätssystemen liegen sollte. In einer solchen Öffnung von Kategorien liegt emanzipatorisches Potenzial. Catharine MacKinnon hat einmal gesagt: “Equality is the crack in the wall of dominance”, was direkt zu linguistischen Ungleichbehandlungen überleitet.

2. Linguistische Ungleichbehandlungen

Es gibt sehr viele linguistische Handlungsfelder, die aus antidiskriminierungsrechtlicher Sicht thematisiert werden können.60 Allen gemeinsam ist ein asymmetrisches Machtverhältnis, das bei intersektionalen Diskriminierungserfahrungen sogar in einer Verschränkung mehrerer Ungleichheitsverhältnisse kulminiert.61 Dieser Leitfaden ist jedoch nicht als allumfassende Analyse der Schnittstelle zwischen Sprache und Antidiskriminierungsrecht gedacht, sondern soll für interessierte Menschen erste Orientierung hinsichtlich gendersensibilisierter Sprache in einer wissenschaftlichen Qualifikationsarbeit bieten. Da diese Arbeiten als schriftliche Texte verfasst werden, werden daher Forschungsergebnisse zur laut- oder gebärdensprachlicher Aushandlung und Performativität von Identitäten bzw. Identitätszuschreibungen ausgeblendet.62 Stattdessen wird sich auf in der Schriftsprache manifestierende Ungerechtigkeiten konzentriert. Um einen ersten, keineswegs allumfassenden Eindruck zu gewinnen, wurde sich für die nachfolgende Auswahl entschieden:63 Deklinationsklassen als Beispiel für vergeschlechtlichte Grammatik, das generische Maskulinum als Beispiel einer lexikalischen Asymmetrie und zuletzt diskriminierende (Sprach-)Muster. Während die ersten beiden Punkte nichts über die jeweilige Wortbedeutung aussagen, sondern es sich stattdessen um systematische Sprachklassifikationen handelt, ist die Thematisierung von diskriminierender Sprachbedeutung kontextuell abhängig.

a. Deklinationsklassen

Zunächst entscheide ich mich, auf Deklinationsklassen einzugehen, da es sich um ein aufschlussreiches Beispiel für sprachliche Ungerechtigkeiten handelt.64 Dass Substantive (Nomen) einer bestimmten Deklinationsklasse (oder Flexionsklasse) angehören und mithin nach Kasus und Numerus flektiert werden, wird eher selten wahrgenommen.65 Die deutsche Sprache hat – je nach angewendeter Zählung – in etwa acht Deklinationsklassen; für den hiesigen Leitfaden reicht die nähere Besprechung von zwei, nämlich gemischte Feminina und schwache Maskulina, aus.66 Die gemischten Feminina stellen eine große Deklinationsklasse dar, die fast sämtliche Feminina umfasst: In dieser Klasse wird auf jedwede Kasusmarkierung verzichtet, sodass nur eine Singular- und eine Pluralform existiert. Als Beispiel hierfür ändert sich die Endung nicht, unabhängig davon, ob Nominativ (die Blume), Genitiv (der Blume), Dativ (der Blume) oder Akkusativ (die Blume) verwendet wird. Das Gleiche gilt auch für den Plural, wo es lediglich die Blumen (Nominativ), der Blumen (Genitiv), den Blumen (Dativ) und die Blumen (Akkusativ) heißt. Um dies zu kontrastieren, ist die Klasse der schwachen Maskulina als Gegenbeispiel hilfreich: Deren Mitglieder haben alle Formen des Paradigmas mit -(e)n außer dem Nominativ Singular. So heißt es der Kunde (Nominativ), des Kunden (Genetiv), dem Kunden (Dativ) und den Kunden (Akkusativ) (wobei der Plural identisch zur vorigen Klasse ist). Unabhängig davon, dass es im Verlauf der Geschichte Umsortierungen zwischen den einzelnen Klassen nach “Belebtheit” des bezeichneten Dinges gegeben hat (die sich danach richtete, wie “männlich” etwas war),67 ist das mit diesen Deklinationsklassen einhergehende Kasusausdrucksdefizit68 für dieses Kapitel relevant: Einzig die schwachen Maskulina praktizieren im Singular einen flexivischen Unterschied zwischen Nominativ und Akkusativ. Der in aller Regel unmarkierte Nominativ bezeichnet den Agens (Auslöser) einer Handlung, während die markierten n-Formen als Rezipienten (Dativ) oder als Patiens (Akkusativ) ausgewiesen werden. Generell ist diese Unterscheidung daher bei belebten Dingen sinnvoll, da sie Handlungen auslösen, aber auch Ziele von Handlungen sein können. Sofern über weibliche* Menschen gesprochen wird, hilft die Deklinationsklasse der gemischten Feminina jedoch nicht weiter. Bei dem Satz “Niemand kannte sie so gut wie sie” bleibt unklar, wer gemeint ist, während dies bei männlichen* Menschen kein Problem ist, heißt es dort “Niemand kannte ihn so gut wie er”.69 Krifka erklärt diese Kasusnivellierung mit der “historischen Ungleichbewertung der Geschlechter, wo Frauen daran gehindert wurden, Handlungsträgerschaft zu übernehmen und damit in Agensrollen zu treten.”70 Da das gesamte Flexionsklassensystem von unterschiedlichen Kasusdistinktionen und -markierungen durchzogen ist, hat sich der gesellschaftliche Sexismus bis heute in die Grammatik eingefräst.71 Durch die Verwendung von sprachlichen Substantiven, die immer einer Flexionsklasse angehören, wird somit auch die darin enthaltene patriarchale Vorstellung reproduziert.

b. Generisches Maskulinum

Ähnliche Wertvorstellungen tauchen auch bei Personenbezeichnungen auf.72 In den 1980er Jahren machten die feministischen Sprachforschenden Senta Trömel-Plotz und Luise F. Pusch auf die der Sprache innewohnende männliche Norm aufmerksam, das sog. generische Maskulinum.73 Gewöhnlich ist das Maskulinum bloß eines von drei grammatikalischen Genera, nämlich Femininum, Neutrum und Maskulinum. Jedes Substantiv verfügt über ein ihm inhärenten Klassifikator, sog. Genus, dem jedoch keine eigene Semantik zukommt. Die Tafel hat also nichts “Weibliches” an sich, ebenso wenig ist der Stuhl “männlich”. Jedoch lassen sich auch hier Anknüpfungen an soeben erwähnte Belebtheitshierarchie erstellen, denn je belebter das Objekt, desto größer ist die Identität zwischen Genus und Sexus.74

Das Maskulinum fristet jedoch ein zweites Dasein, und zwar gewinnt es am meisten Bedeutung in seiner weiteren Funktion als allgemeingültige Bezeichnung für divers besetzte Personengruppen: Aus 35 Juristinnen, 10 nicht-binäre Jurist*innen und 55 Juristen werden 100 Juristen. Der Bundesgerichtshof legt in seinem Urteil zu Bank-Formularen den allgemein üblichen Sprachgebrauch zugrunde.75 Doch trägt dieses Argument? Die Verwendung gendersensibilisierter Sprache ist inzwischen durchaus im alltäglichen Gebrauch angekommen und das Argument ist schon aus diesem Grund problematisch. Ferner verkennt das Argument den Zweck und die Logik des Antidiskriminierungsrechts: Diskriminierungen lassen sich nicht mit ihrer “allgemeinen Üblichkeit” rechtfertigen.76 Das Antidiskriminierungsrecht zielt gerade auf den Schutz von politischen Minderheiten, wo ein Abgleich mit vorherrschenden Praktiken nicht weiterhilft.77 Gerade die vermeintliche Normalität einer sozialen Tatsache kann Indiz für spezifische Gefährdungslagen von politischen Minderheiten sein, welche nicht der vermeintlichen Norm entsprechen. Auch das häufig gehörte Argument des “Mitgemeint-Seins” (wie sein Bruder des “Nicht-so-gemeint-Seins”) lässt sich dadurch entkräften, dass es bei Diskriminierungen nicht auf den Vorsatz der diskriminierenden Person, sondern auf die eintretenden Wirkungen bei der diskriminierten Person ankommt.78 Dass das generische Maskulinum nicht generisch wirkt, sondern unterschiedliche Assoziationen aufruft, wurde in mehreren Studien belegt.79 Es ist sprachlich ambig, da “10 Juristen” eben zehn männliche Juristen iwe aber auch 10 Menschen aller Geschlechter, die etwas mit Jura machen, meinen kann. Diese Ambiguität kann nicht aufgelöst werden und ist rechtlich nicht hinzunehmen; sie ist daher das zentrale Argument gegen das generische Maskulinum.80 Ein weiteres, ebenso wichtiges, wenn jedoch weniger bekanntes Gegen-Argument ist, dass durch die vermeintliche Neutralität des allumfassenden, generischen Maskulinums ausdrücklich, konkrete Bezeichnungen wie z.B. “die Autor*in” begrifflich markiert sind; diese Begriffe werden damit sowohl zur Opposition als auch zur Ausnahme.81 Diese einseitige, aktive Markiertheit führt ebenfalls zu einer lexikalischen Asymmetrie.82 Genauso wie Weißsein selbst als “unmarkierte” Kategorie auftaucht, ist auch “Mannsein” die unbeschriebene Norm.

c. Diskriminierende Muster

Zuletzt sei noch auf diskriminierende (Sprach-)Muster hingewiesen.83 Luise F. Pusch hat in ihren zahlreichen Glossen viele solcher Sprachmuster aufgearbeitet.84 Durch das Aufdecken und Erkennen sprachlicher Muster – die relevante Diskriminierungskategorien (re-)produzieren und im Zusammenhang mit diskriminierungsrelevanten Steoreotypen stehen – lassen sich Rückschlüsse auf die Sprachgemeinschaft und deren verstehensrelevantes Wissen ziehen.

Ein solches Muster betrifft auflistende Reihenfolgen.85 Beispiele sind “Hiermit erkläre ich Sie zu Mann und Frau” bei Trauungen, “He said, she said” bei Aussage-gegen-Aussage-Prozessen oder auch “m/w/d” bei Stellenausschreibungen. Ihnen ist eine Erstnennung der männlichen Kategorie immanent, die von Teilen der Literatur als eine Hierarchisierung und Privilegierung als Hierarchisierung gedeutet wird.86 Wenngleich “Frauen” und “Männer” im Deutschen keine syntaktischen Unterschiede praktizieren, so gibt es einige verfestigte (eingerastete) Sprachgebrauchsmuster, die gewisse (Vorrang-)Stellungen erkennen lassen, allen voran Binomiale (Mann und Frau, Mama und Papa). Komplett erstarrt ist die Paarformel “meine Damen und Herren”, während andere Binomiale ihre Stellungsrigidität im Laufe der Jahrzehnte lockern können und dabei gesellschaftlichen Wandel erkennen lassen. Hier weisen erste Forschungen zum Deutschen darauf hin, dass bei statusbehafteten Rollen-, Berufs- und Standesbezeichnungen weiterhin das male first-Prinzip regiert, während bei Verwandtschaftsrollen (Müttern, Vätern, Söhnen, Töchtern) diachrone Degenderings zu beobachten sind, bis hin zur Stellungsumkehr im Fall von (heute) Mädchen vor Jungen. Es kann daher produktiv irritieren, die Reihenfolge umzukehren, um auf die Selbstverständlichkeit im Umgang mit gewissen kollektiven Annahmen hinzuweisen oder aber gänzlich auf limitierende, sich ausschließende Aufzählungen zu verzichten (“Hiermit erkläre ich Sie zu einer ehelichen Lebensgemeinschaft” bei Trauungen oder auch grundsätzlich von Aussage-gegen-Aussage-Prozessen zu sprechen oder auch “alle Geschlechter” bei Stellenausschreibungen).87

Ein weiteres (Sprach-)Muster betrifft zugeschriebene Verhaltensweisen (sog. Stereotypen), auf die nicht im Detail eingegangen werden kann. Einen sachnahen Einstieg in diese Thematik ermöglichen sowohl die älteste Analyse von Stereotypen in juristischer Ausbildungsliteratur von Franziska Pabst und Vera Slupik, “Das Frauenbild im zivilrechtlichen Schulfall”, aus dem Jahr 197788 wie auch die aktuellste Studie von Dana-Sophia Valentiner, “Stereotype in juristischen Ausbildungsfällen, Eine hamburgische Studie”, aus dem Jahr 2018.89 Die Monographie von Caroline Voithofer aus dem Jahr 2013 mit dem Titel “Frau & Mann im Recht. Eine Kritische Diskursanalyse zum Unterhalt bei aufrechter Ehe” analysiert die Entwicklung von genderbezogenen, stereotypen Rollenbildern im Rechtsdiskurs in verschiedenen Zeitstufen. Sich sprachlicher Muster mitsamt diskriminierenden Assoziationen und damit einhergehenden Stigmatisierungen zu verdeutlichen, ist bislang überwiegend auf die Arbeiten von Soziolog*innen zurückzuführen.90 Inwiefern das Recht gewisse Assoziationen durch diskriminierende (Feind-)Bilder schafft, aufrechterhält oder doch durchbricht, wird im dritten und letzten Teil näher ausgeführt.

IV. Rechtssprache

Dass es kein unsprachliches Recht gibt,91 ist eine einleuchtende Erkenntnis, die auf den ersten Blick vielleicht nicht wirklich revolutionär daherkommt. Und dennoch verbirgt sich dahinter sehr viel. Im nachfolgenden Teil wird sich zunächst der Rechtssprache allgemein gewidmet (1.), bevor sodann auf die Debatte um gendersensibilisierte Rechtssprache konkret eingegangen wird (2.).

1. Rechtskonstruktionen

Bislang geläufig ist die Auffassung, dass Sprache kein Konstruktions-, sondern lediglich Transportmittel des Rechts ist. Hiernach ist Sprache nur ein (Darstellungs-)Mittel des Rechts, weshalb (sozio-)linguistische Erkenntnisse wie die unter II. und III. erwähnten vermeintlich keine allzu große Relevanz spielen; sie betreffen allenfalls die Form, aber nicht den Inhalt des Rechts. Wenn sich nun nochmal der Erkenntnis vergegenwärtigt wird, dass alles Recht stets sprachlich ist, und Sprache somit von zentraler Bedeutung für die Konstitution des Rechts ist (siehe nur die juristische Vorliebe für Begriffsklärungen als ihr hermeneutisches Herzstück), erscheint eine nähere Beschäftigung mit Sprache als essentieller Teil des Rechts nicht nur unumgänglich, sondern auch notwendig.92 Auch Recht ist– wie Sprache und Gender–umkämpft, sodass auch Rechtssprache nicht frei von (Be-)Deutungskämpfen ist. Recht ist ein Diskurs, in dem gesellschaftliche Machtstrukturen besonders wirkmächtig zur Geltung kommen, da Recht staatlich durchgesetzt wird.93 Das Recht kann daher gewisse Wirklichkeitskonstruktionen als geltend setzen (und auch durchsetzen.) Das Recht baut auf „begrifflicher Schärfe“ und erweckt damit den Anschein, dass es seine Begriffe in ihrem wahren Gehalt, seine Institute in ihrem wahren Kern, seine Wirklichkeit als die einzig wahre bestimmen könnte.94 Das Recht kann die Realität jedoch nie vollständig erfassen, geschweige denn lösen.

Aus der Perspektive der Rechtstheorie und Rechtssoziologie kann dem begegnet und danach gefragt werden, wie das Recht seine Begriffe und Wirklichkeiten konstruiert, wie es auf gesellschaftliche Bilder und Symbole zurückgreift und auf welche Weise es ihre „Schärfe“ und Richtigkeit herstellt, kurz: wie es sich als Recht selbst „fertigt“.95 Mit dem Verweis auf die sprachliche Konstruktion wird die grundlegende gemäßigt konstruktivistische Prämisse deutlich, nach der davon ausgegangen wird, dass Sprache die Wirklichkeit nicht lediglich 1:1 abbildet, sondern deren Wahrnehmung formt und sich in ihren Begriffen bereits die spezifische Gestaltung der kulturellen Welt spiegelt. Über den Sprachgebrauch lässt sich zu einem gewissen Grad auf die gesellschaftliche Organisation von Welt schließen und daher ist jede Beschäftigung mit Rechtssprache stets auch kulturbezogen.96 Sprache, Wissen, Verstehen und (Be-)Deutung sind demgemäß immer an ein Kollektiv, an einen gemeinsamen kulturellen Raum und ebenso an die Zeit, in der Äußerungen getätigt und verstanden werden, gebunden und genau dasselbe gilt auch für das Recht, so schon das Bundesverfassungsgericht im Soraya-Beschluss aus dem Jahr 1973.97 Der häufig zu lesende Verweis auf das juristische Positivitätsideal, das von einer eindeutigen, fast schon mathematisch exakten Sprache ausgeht, wird somit – auch vom Bundesverfassung im Soraya-Beschluss (Rn. 39) abgelehnt. Auslegung lebt von sprachlicher Ambiguität, sodass jede Begriffsdefinition immer nur ein Streben nach Klarheit sein kann. Im Sinne des Rechtsstaatsprinzips wird zwar Genauigkeit, Exaktheit und Berechenbarkeit angestrebt, jedoch ist das Genauigkeitspostulat ein Ideal, da Sprache immer mehrdeutig ist.Die (Fehl-)Vorstellung, Sprache könne einen Grad der Genauigkeit erreichen, der Interpretationsmöglichkeiten und -unterschiede von vornherein ausschließt, ist eine feldspezifische Illusion des Rechts.98 Das soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Illusion wirkmächtig ist. So konzentriert sich ein erheblicher Teil der juristischen Alltagsarbeit darauf, den Sinn und Anwendungsbereich von Normen zu ermitteln. Das erklärt auch, zumindest teilweise, weshalb die Rechtspraxis sich so oft mit Hilfsmitteln wie Kommentaren, Gerichtsentscheidungen und einschlägigen wissenschaftlichen Beiträgen Klarheit über den Inhalten von Vorschriften – und den die darin enthaltenen Begriffen – zu verschaffen sucht.

Genau dieselbe Kritik trifft auch rechtliche Personenbezeichnungen, wie zum Beispiel “der Bundeskanzler”. Wenn sich nun der Rechtssprache, also Gesetzes- und Verwaltungssprache, näher gewidmet wird, ist bei der Einordnung der generisch maskulinen Personenbezeichnung als Rechtsbegriff zwischen zwei Elementen zu unterscheiden und zwar dem allgemeinsprachlichen Element im oben ausgeführten Verständnis der Linguistik, das in die Rechtssprache als Gemisch aus Allgemein- und Fachsprache Eingang gefunden hat und über seine verfassungskonforme Interpretation gewonnene Definition als Fachbegriff.99 In beiden Fällen, sowohl dem allgemeinsprachlichen als auch dem Fachbegriff, muss jedoch – damit die Rechtssicherheit im Regelungsinhalt eines Rechtstexts garantiert ist – die Übereinstimmung zwischen der Bedeutung der allgemeinsprachlichen oder fachsprachlich definierten Bezeichnung und den Inhalten des Rechts vorliegen. Recht gilt nur soweit, wie die Bedeutung der Sprache reicht. Die Frage der Bedeutungsunsicherheit oder gar Mehrdeutigkeit dürfen sich nicht stellen.100 In Verknüpfung mit neueren Erkenntnissen erweist sich, dass das generische Maskulinum weder im allgemeinsprachlichen noch im fachsprachlichen Sinn, immer und in gleichem Maße Assoziationen und Bezüge herstellt. Sprachrichtigkeit und materiell-rechtlich erforderliche Richtigkeit stimmen nicht überein. Das allgemeinsprachlich gebrauchte Maskulinum, das vor einem rechtlich längst überholten historischen Kontext gesellschaftsimmanenter Frauendiskriminierung entstanden ist und eben nicht die rechtlich notwendige Bestimmtheit des Begriffs absichert, ist mehrdeutig und genügt daher noch nicht einmal dem Positivitätsideal.

2. Gendersensibilisierte Rechtssprache

Die Debatte um gendersensibilisierte Sprache als Teilbereich von Rechtssprache wird seit den 1980er Jahren geführt.101 Den Ball um fixe Vorgaben zur Rechtssprache brachte Rita Süßmuth auf der politischen Bühne ins Rollen, nachdem ihr sowohl sprachwissenschaftliche als auch außerparlamentarische feministische Debatten vorausgegangen waren. Ihr war als damalige Bundesministerin für Jugend, Familie und Gesundheit eine Rechtsverordnung für den “Arzt im Praktikum” vorgelegt worden, in der es auch um Mutterschutzregelungen von Mediziner*innen ging. Die Verordnung lautete im Auszug: “Wenn der Arzt im Praktikum schwanger wird, hat er Urlaub nach den Regelungen des Mutterschutzgesetzes; nach Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs kann er seine Ausbildung fortführen.”102 Da sie im generischen Maskulinum verfasst worden war und es darin stets um “seine” Schwangerschaft ging, entschied sich Rita Süßmuth diesen Vorschlag nicht zu unterzeichnen.103 Gendersensibilisierte Rechtssprache war sodann Diskussionsgegenstand im Bundestag und wurde in der Arbeitsgruppe Rechtssprache vertiefend bearbeitet. Diese Arbeitsgruppe verfasste 1990 einen Bericht,104 der unter anderem empfahl “auf die Verwendung des generischen Maskulinums in der Amtssprache ganz, in der Vorschriftensprache so weit wie möglich zu verzichten, wenn Gründe der Lesbarkeit und Verständlichkeit dem nicht entgegenstehen.”105 Mit Blick auf etwaige rechtliche Vorgaben ist auf Bundesebene seit 2001 im Bundesgleichstellungsgesetz, wie auch in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesregierung normiert, dass die Gleichstellung von Geschlechtern in Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Bundes sowie Gesetzesentwürfen auch sprachlich zum Ausdruck kommen soll.106 Zielvorgabe für das Verfassen von Gesetzen ist also schon heute die sprachliche Gleichstellung jedenfalls von Männern und Frauen. Dementsprechend merkt auch das noch gültige107 Handbuch der Rechtsförmlichkeit, das formelle Regeln zum Verfassen von Gesetzestexten enthält, im Bezug auf die sprachliche Gleichbehandlung: “Am ehesten gelingt es, fachlich und sprachlich einwandfrei und zugleich geschlechtergerecht zu formulieren, wenn geschlechtsneutrale Gestaltungsmöglichkeiten ausgeschöpft werden [...].”108 Nach diesen Empfehlungen sollte das Rechtsgutachten von Ulrike Lembke, das im Auftrag der Stadt Hannover zum geschlechtergerechten Verwaltungshandeln erstellt und Ende 2021 veröffentlicht wurde, und ebendiese Empfehlung aussprach, nicht überraschen.109 Trotz des eigentlichen Fokus des Gutachtens auf die Amtssprache – sprich: das konkrete Verwaltungshandeln gegenüber einzelnen Menschen, die über eine selbst gewählte Geschlechtsidentität verfügen – beschäftigt sich Lembke am Ende kurz mit der Rechtssprache und empfiehlt hierfür “geschlechtsneutrale (und geschlechterinklusive) Formulierungen.”110 Dies wirkt auf den ersten Blick wie ein Paradoxon, da eine sowohl neutrale als auch inklusive Formulierung nur bei der Verwendung von genderindifferenten Begriffe gelingen kann. Genderindifferent meint universelle Termini, wie sie das Grundgesetz wie auch das BGB kennen, und zwar Mensch und Person.111 Linguistisch analysiert sind Mensch und Person genau solche personenbezogenen Substantive, die in der Allgemeinsprache generell nicht nur geschlechtsindifferent verwendet werden, sondern auch darüber hinaus anti-essentialisierend und geschlechtsauflösend. Sie sollten daher umfassend in der abstrakt-generellen Rechtssprache Verwendung finden. Neben den obigen Beispielen aus der Rechtsprechung beinhaltet auch ein Gesetz ein anschauliches Beispiel für diese Überlegungen, und zwar das Mutterschutzgesetz: Das Gebären von Kindern ist vermeintlich Sache der Frauen*, sodass das Gesetz an “Frauen” adressiert ist. Im Anschluss an Judith Butler “produziert die Rechtsgewalt” hier allerdings, “was sie (nur) zu repräsentieren vorgibt.”112 Jedoch findet sich seit Kurzem in § 1 Abs. 4 MuSchG eine begriffliche Klarstellung: Danach gilt das Gesetz auch für “jede Person, die schwanger ist, ein Kind geboren hat oder stillt”.113 Diese Neuausrichtung schlägt den richtigen Weg ein, um den aus Art. 3 Abs. 3 GG ohnehin zwingenden materiellen Rechten auch auf Ebene der gesetzlichen Formulierungen nachzukommen. Unabhängig davon, ob gendersensibilisierte Sprache als rechtliche Pflicht oder aber als politische Entscheidung eingestuft wird, werden die bestehenden Vorgaben zur sprachlichen Gleichstellung nur unzureichend umgesetzt. Daran muss sich etwas ändern und der nachfolgende Vorschlag könnte ein möglicher Ansatzpunkt sein: Mit den Bezeichnungen Mensch und Person lässt sich zukünftig gezielt die gesamte Rechtsordnung reformieren. Es ließe sich von kaufenden Personen, mietenden Personen, arbeitnehmenden Personen sprechen. Solche offenen Bezeichnungen sind gleichermaßen abstrakt und generell wie vermeintlich die generischen Maskulina bisher, sodass sie die Struktur der Vorschriftensprache beibehalten und auch der Verständlichkeit gerecht werden. Denn gerade diese zwei Möglichkeiten sind, ganz ohne den Zaubertrick des generischen Maskulinums, ohne Zweifel verallgemeinerbar und gleichzeitig vielfältig.

Wir hoffen mit diesem Leitfaden einen ermutigenden Blick auf gendersensibilisierte Sprache zu liefern, die zu solidarischem Handeln motiviert. Dass die Verwendung von gendersensibilisierter Sprache nicht allein geeignet ist, Diskriminierungen zu vermeiden und eine Gleichstellung aller Menschen zu gewährleisten, ist uns natürlich bewusst, soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein diskriminierungssensibilisierter Sprachgebrauch ein erster Schritt zur Veränderung gesellschaftlicher Wahrnehmungen und Realitäten ist.

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