Notwendiges Vorwissen: Vorwort; Linguistik, Gender und Recht; Mehr als nur Gender: Andere Dimensionen diskriminierungssensibilisierter Sprache; Argumente für gender- und diskriminierungssensibilisierte Sprache; Methoden gendersensibilisierter Sprache
Sobald die Entscheidung für die Art und Weise gefallen ist, mit der die eigene Dissertation gender- und/oder diskriminierungssensibilisiert verfasst werden soll, knüpft daran unmittelbar die Frage an, ob diese Entscheidung auch innerhalb der Dissertation selbst thematisiert wird. Einige Anregungen dazu, ob und wie dies möglich ist, soll dieses Kapitel bieten.
Zunächst ist vorweg anzumerken, dass dies, ebenso wie die Entscheidung der eigenen Sprache selbst, eine rein individuelle ist. Dabei sind viele verschiedene Faktoren zu berücksichtigen, die eine solche Erklärung und deren Art und Weise beeinflussen und bei dieser Entscheidung helfen können.
Relevant können insbesondere folgenden Faktoren sein:
Das Rechtsgebiet, in dem der Text sich bewegt: Wirtschaftsrecht hat typischerweise eine andere “Kultur” als beispielsweise das Europarecht in seinem Grad von Konservatismus, Ausdrucksweisen, Internationalisierung o.ä. (Beispielsweise gilt es im Aktienrecht als “revolutionär”, die Beidnennung zu verwenden im Gegensatz zum Antidiskriminierungsrecht, wo der Inhalt schon eine diskriminierungssensibiliserte Sprache bedingt).
Das jeweilige Thema: Vergleichbar mit dem obigen Punkt wird beispielsweise eine Dissertation im Unternehmensrecht typischerweise schon weniger Einfallstore für eine sensibilisierte Sprache bieten als beispielsweise das Asylrecht, das stärker Bezug auf Individuen und individuelle Rechte nimmt.
Die Betreuungsperson: Ob und wie die angewandte Sprache innerhalb der Dissertation erklärt wird, kann auch mit der Betreuungsperson abgesprochen werden. Gegebenenfalls hat die Betreuungsperson auch wertvolle Hinweise. Sollte die Person gender- und diskriminierungssensibilisierter Sprache weniger aufgeschlossen gegenüberstehen, könnte die Erklärung der eigenen Schreibweise einen Angriffspunkt darstellen. Ein Verzicht auf eine Erklärung könnte deshalb ratsam sein. Andererseits kann gerade bei einer Betreuungsperson, die sensibilisierte Sprache eher ablehnt, die Nennung der Argumente im Text selbst hilfreich sein. Dadurch könnte die Betreuungsperson beim Lesen oder bei der Korrektur an die Argumente erinnert werden.
Für die genauere Auseinandersetzung mit der Betreuungsperson, siehe das Kapitel “Kommunikation mit der Betreuungsperson” in diesem Leitfaden.
Die konkrete Textstelle: Je nach individueller Situation und individuellem Kontext haben gewisse Ausdrücke und Schreibweisen einen erhöhten Erklärungsbedarf. Dies könnte beispielsweise dann der Fall sein, wenn Autor*innen ein Neopronomen1 verwenden oder der diskriminierende Hintergrund von Zitaten oder Quellen der Aufklärung bedürfen.
Ein Sonderfall könnte die Bearbeitung eines rechtsfeministischen Themas oder die Auseinandersetzung mit rechtsfeministischen Theorien und Ansätzen sein. Hier kann bereits dieser inhaltliche Bezug einen verstärkten Aufklärungsbedarf begründen.
Beispiel: Wie ist bei einer Arbeit über das Mutterschutzgesetz der Begriff der Mutter zu verstehen?
Gleichzeitig können bei der Betreuungsperson eines rechtsfeministischen Themas sowie bei dessen Leser*innenschaft gewisse rechtsfeministische Termini als bekannt vorausgesetzt werden. Dann kommt eine ausführliche und vertiefte Auseinandersetzung mit der verwendeten Sprache eher weniger in Betracht. Die Autor*innen können dabei am besten selbst einschätzen, für welche Fachtermini innerhalb des zu erwartenden Publikums ein Konsens besteht und wo noch aufgrund bestehender Debatten die Festlegung des eigenen Verständnisses nötig ist.
Das eigene Empfinden: Die exemplarisch aufgeführten Faktoren zeigen bereits, wie individuell jede Promotion und die dort verwendete Sprache ist. Letztlich ist jede Dissertation und deren Autor*in einzigartig, sodass sich individuelle Bedürfnisse ergeben. Daher sind die in diesem Kapitel genannten Beispiele auch nur als solche zu verstehen. Sie können als Anregung dienen, die eigene Dissertation zu bereichern und zu unterstützen. Die aufgeführten Beispiele sind deshalb nicht als abschließend zu verstehen, sondern als die uns nach aktuellem Stand denkbaren Möglichkeiten.
In diesem Kapitel stellen wir unter II. die verschiedenen Formen vor, ob und wie Autor*innen die eigene Schreibweise bezüglich gendersensibilisierter Sprache erklären könnten. Abschnitt III. thematisiert, sowohl für gendersensibilisierte als auch diskriminierungssensibilisierte Sprache, mögliche Standorte für entsprechende Erklärungen. Unter IV. wird der Sonderfall von Inhaltswarnungen erörtert. Im letzten V. Abschnitt gehen wir auf Besonderheiten bei rechtshistorischen Dissertationen und Arbeiten mit rechtshistorischen Kapiteln ein.
Sobald sich für eine bestimmte Schreibweise entschieden wurde, stellt sich die Frage, ob und wie ihr die verwendete Schreibweise innerhalb der Dissertation erklärt.
Die erste denkbare Option ist es, sich und seine Sprache nicht anzusprechen und zu erklären. Dies bietet sich gerade in einem Rechtsgebiet an, in dem eine sensibilisierte Sprache bereits etablierter ist.2
Die Vorteile dieser Vorgehensweise sind, dass eine solche Schreibweise direkt stärker normalisiert und nicht erst zur Debatte gestellt wird. Zudem kann sich das auch anbieten, wenn eine weniger “kontroverse” Gender-Methode gewählt wurde, wie beispielsweise die Doppelnennung.
Nachteile können dabei sein, bei der lesenden oder bewertenden Person negative Reaktionen auszulösen. Diese könnten zwischen reiner Unwissenheit und Abneigung rangieren. Zudem kann eine fehlende Erklärung auch zu Missverständnissen führen. Gerade weil sich Gender-Methoden, Begriffe und die darin zum Ausdruck kommenden Gedanken und Konzepte in stetigem Wandel befinden und Sprache hier stets neu geformt wird, erläutert eine Einordnung die Bedeutung zum Zeitpunkt des Schreibens. Ein Beispiel für solche Neuformungen in jüngerer Zeit sind Neopronomen.3
Sofern es möglich ist, die Arbeit in einer neutralen oder passiven Ausdrucksweise wie dem Gerundium (bzw. Partizipalform oder Verlaufsform) ohne Sonderzeichen anzufertigen - zum Beispiel durch die durchgängige Verwendung von "Studierenden" -, so benötigt diese Option keine Erklärung. Mehr Informationen zu Methoden sind im entsprechenden Kapitel in diesem Leitfaden zu finden. [Hinweis zu passiven Ausdrucksweisen: teilweise wird das weniger gerne von Professor*innen gesehen, es ist aber grammatikalisch nicht falsch. Letztlich kommt es auf den eigenen Schreibstil und die Dosierung an.]
Entscheiden sich die Verfasser*innen dafür, eine Erklärung einzubauen, so kann dies per Fußnote erfolgen.
Für die Wahl der Fußnote spricht, dass sie den Lesefluss nicht beeinträchtigt. Sie kann den Leser*innen, die sich mehr Informationen wünschen, die Option bieten, sich genauer damit in der Fußnote zu beschäftigen. Im Gegensatz dazu kann gerade Leser*innen, die mit der jeweiligen Terminologie schon vertraut sind, dies die Gelegenheit bieten, direkt im Text ohne Unterbrechung weiterzulesen.
Gegen die Fußnote spricht, dass der Platz begrenzt ist bzw. die Fußnote nicht allzu lang werden sollte. Wenn der Erklärungsbedarf doch einen größeren Umfang annimmt, detaillierte Ausführungen getätigt werden sollen oder die Ausdrucksweisen auch für den Inhalt relevant sind, sollte der Wechsel von der Fußnote in den eigentlichen Text erwogen werden.
Beispiel 1: “In dieser Arbeit wird durchweg mit dem Genderstern gearbeitet. Dieser bringt zum Ausdruck, dass nicht nur Männer und Frauen, sondern auch Personen außerhalb der Binarität existieren und hiervon umfasst sind.”
Beispiel 2: “Im Folgenden wird der Doppelpunkt verwendet, um eine gendersensibilisierte Sprache anzuwenden.”
Beispiel 3: “Im Folgenden wird aus Gründen der Lesbarkeit das generische Maskulinum verwendet. Die weibliche Form ist davon eingeschlossen.”4
Beispiel Sachbuch 1: “Wenn ich von Frauen schreibe, meine ich alle Menschen, die sich als solche verstehen.”5
Beispiel Sachbuch 2: “Ich verwende in diesem Buch das generische Femininum - mit der weiblichen Form sind also alle Geschlechter gemeint.”6
Beispiel für eine ausführlichere Fußnote aus der Philosophie/Politischen Theorie: die Fußnote zu “feministische Theoretiker_innen” dient als Erklärung der verwendeten Schreibweise im Buch: “Ich bemühe mich in diesem Buch um eine geschlechtergerechte Sprache. Ich benutze das Gender-Gap, welches es erlaubt, Geschlechter jenseits von Zweigeschlechtlichkeit zu begreifen und die Mannigfaltigkeit von Geschlechtsidentitäten sichtbar zu machen. In vielen Zitationen in der vorliegenden Arbeit wird mit anderen Möglichkeiten gearbeitet, etwa dem Gender-Stern (*) oder dem Binnen-I. Ich habe diese Schreibweisen beibehalten. Außerdem habe ich mich entschieden den Begriff der Gefährt*innenspezies - so der überzeugenste Übersetzungsvorschlag von dem für Haraway wichtigen Konzept der Companian Species - auch in dieser Schreibweise zu belassen. Die so entstehende Heterogenität demonstriert, dass die Suche nach einer geschelchtergerechten Sprache nicht abgeschlossen ist. Vielmehr wird in dieser Weise sichtbar, dass es in Bezug auf den Sprachgebrauch auch um ein permanentes Austesten und Ringen mit besseren und schlechteren Möglichkeiten geht - kurz: um einen Prozess, der Kreativität erfordert und nicht einen verbindlichen abgeschlossenen Regelkatalog vorsetzt, der nicht mehr für Revision offen ist.”7
Innerhalb des Textes gibt es zwei Möglichkeiten für die Erklärung der verwendeten Sprache. Die Erläuterung kann entweder in den Fließtext eingebaut oder als Zusatz in einer Klammer abgegeben werden.
Wie es sich aus den Für- und Gegenargumenten einer Erklärung in der Fußnote erschließt, ist der Vorteil einer Erklärung im Fließtext, dass (fast) unbegrenzt viel Platz zur Verfügung steht.
Indes läuft der Textabschnitt dadurch Gefahr, zu sehr vom eigentlichen Thema abzuschweifen. Alternativ kann die Erklärung auch besonders bezeichnet werden, beispielsweise durch das Wort “Exkurs”.
Beispiel Dissertation: “(...) Aktionär:innen. In dieser Arbeit werden alle Personen, die Aktien am relevanten Unternehmen halten, unter den Begriff Aktionär:innen subsumiert. (...)”
Beispiele aus der rechtswissenschaftlichen Literatur außerhalb der Dissertation:
Beispiel 1: “Und da nach wie vor die juristische Welt überwiegend noch eine Juristenwelt ist, mag es ein wenig zur Ausgewogenheit beitragen, wenn ich durchgängig von Doktorandinnen und Doktormüttern spreche.”8
Beispiel 2: “Um sich ja korrekt auszudrücken, hat sich gerade an Universitäten eingebürgert, stets die weibliche und männliche Form zu verwenden, es ist also stets von Kommilitoninnen und Kommilitonen bzw. Studentinnen und Studenten die Rede. Besonders elegant hört sich das nicht an, und auch mit der Bezeichnung der Studierenden mag ich mich nicht recht anfreunden. Die häufig anzutreffende Übung, den Leserinnen mitzuteilen, sie seien bei dem Gebrauch der männlichen Form mitgemeint, halte ich zwar für vollständig, angesichts des bereits jahrzehnte- bzw. sogar jahrhundertelangen Schieflage zugunsten der männlichen Form aber für ein wenig ungerecht. Ich werde also im weiteren Verlauf gegebenenfalls die weibliche Form verwenden und hoffe zuversichtlich, dass sich kein Leser ausgeschlossen fühlt.”9
Ausführliche Exkurse zu gender- und diskriminierungssensibilisierter Sprache finden sich zum Beispiel bei:
• Autor/innenkollektiv, Einleitung, in: Foljanty/Lembke (Hrsg.), Feministische Rechtswissenschaft, 2. Auflage 2012, 21, S. 24.
• Franziska Schutzbach, Die Erschöpfung der Frau, 8. Auflage 2021, S. 1 f.
Wenn die Erklärung im Text selbst erfolgt, diese aber kurz sein soll, kann die Option der Klammer verwendet werden. Schwierigkeiten kann es bereiten, die Erklärung derart knapp zu halten, dass die Funktion der Klammer, eine kurze Ergänzung zu ermöglichen, erhalten bleibt, ohne vom Thema abzulenken und keine Missverständnisse oder Lücken zu erzeugen.
Beispiel 1: “Arbeitnehmer*innen (hiermit sind alle arbeitnehmenden Personen gemeint)”
Beispiel 2: “Betreuer_innen (folglich betreuende Personen, die sich als weiblich, männlich oder nichtbinär identifizieren)”
Beispiel 3: “Steuerzahlenden (in dieser Arbeit wird einheitlich der Begriff der Steuerzahlenden verwendet)”
Sofern die Entscheidung für eine Erklärung der verwendeten Sprache gefallen ist, kommen dafür verschiedene Stellen in der Dissertation in Betracht. Hier erfolgt eine kurze Einordnung der verschiedenen Varianten. Abschließend erklärt dieser Abschnitt, welche Stellen sich nicht für eine Erklärung der verwendeten Sprache eignen. Den passenden Ort für eine Erklärung können Autor*innen natürlich am besten selbst beurteilen. Geeignete Kriterien für die Entscheidung sind insbesondere, dass die Erklärung für die Leser*innen leicht auffindbar ist und, dass sie sich stringent in den Aufbau und den Text der Dissertation einfügt.
Zunächst bietet sich das Vorwort der Dissertation an. Das Vorwort hat eine einleitende Funktion und steht immer vor den inhaltlichen Abhandlungen als Ergänzung, Wertschätzung oder Kommentierung. Nach der anekdotischen Empirie ist eine Erklärung der gendersensibilisierten Sprache im Vorwort untypisch. Dennoch eignet sich das Vorwort gut dafür, insbesondere, wenn sich die Autor*innen auf persönlicher Ebene mit der diversitätssensibilisierten Sprache auseinandergesetzt haben und diese für die Verfasser*innen einen hohen Stellenwert hat und deshalb gleich zu Beginn thematisiert werden soll.
Gegen eine Erklärung im Vorwort spricht, dass die Erläuterung so getrennt von dem Inhalt der Dissertation steht und die*der geneigte Leser*in das Vorwort möglicherweise überspringt und so die Motive für die verwendete Sprache nicht zur Kenntnis nimmt.
Sofern das Werk ein Einleitungskapitel oder eine Einleitung hat, kann auch hier die verwendete Sprache erläutert werden. Das Einleitungskapitel führt - in Abgrenzung zum persönlich geprägten Vorwort - inhaltlich ein. Oft werden in diesem Abschnitt die in der jeweiligen Arbeit verwendeten Termini definiert und die Gründe für die gewählte Definition erläutert. Gerade wenn die Dissertation thematisch diversitätssensibilisierte Bereiche berührt, bietet sich die Einleitung als Erklärungsort an. Auch darüber hinaus ist die Einleitung geeignet, da Leser*innen bei der Lektüre mit der Einleitung beginnen, bzw. dort bei Bedarf nach einer Erklärung suchen werden. Parallel zur Erläuterung verwendeter Terminologie kann auch die gender- und diskriminierungssensibilisierte Sprache so einleitend erklärt werden.
Auch die Abhandlung zu den verwendeten Methoden bietet einen geeigneten Ort, um die verwendete Schreibweise zu erklären; insbesondere, wenn es sich um ein Thema mit rechtsfeministischen Bezügen handelt. Ebenso können die Ausführungen zu den Methoden Anlass zu einer Erläuterung geben, wieso diskriminierende Inhalte für die Analyse wiedergegeben werden müssen oder, warum darauf verzichtet werden kann. Es wäre somit eine Überlegung wert, ob bei der Verwendung diskriminierender Schreibweisen eine (Inhalts-)Warnung angebracht ist.
Das Methodenkapitel gibt einen Einblick in die verwendeten Forschungsmethoden. Sofern die Diskriminierungsdimensionen (zum Beispiel Gender) nicht Inhalt der Analyse sind, ist das Methodenkapitel für eine ausführliche Erläuterung im Fließtext oder in Klammern eher ungeeignet, da der Bezug zu den angewendeten Methoden fehlt. Die Erläuterung in der Fußnote ist dagegen fast immer möglich, weil dort üblicherweise weiterführende Informationen platziert werden.
Intuitiv geeignet für eine Erklärung ist die erste Verwendung von einer gender- oder diskriminierungssensibilisierten Schreibweise, da die Leser*innen an dieser Stelle mit einer Erklärung rechnen. Gerade bei der Erklärung in der Fußnote suchen Leser*innen eine Erläuterung (auch) in der Fußnote, sodass das Risiko, dass die Erklärung übersehen wird, minimiert ist. Auch eine gender- (und diskriminierungs-)skeptische Person “stolpert” an dieser Stelle das erste Mal und kann mit einer guten Argumentation überzeugt werden. Selbstverständlich müssen sich Autor*innen prinzipiell nicht für die verwendete Schreibweise rechtfertigen, je nach Umfeld wird dies aber noch erwartet und bietet sich zum Beispiel bei an der Verwendung einer sensibilisierten Sprache noch zweifelnder Betreuungsperson an.
Sofern eine ausführlichere Erläuterung innerhalb des Textes, besonders im Fließtext, bevorzugt wird, ist die erste Verwendung nicht immer geeignet. Eine längere Erklärung ohne Bezug zum behandelten Inhalt unterbricht den Lesefluss. Passend ist eine Erklärung nur dann, wenn sich die Passage inhaltlich einfügt. Passt die Erklärung nicht an die Stelle der ersten Verwendung, sollte auf einen anderen Ort - zum Beispiel die Einleitung - oder eine andere Art der Erklärung - zum Beispiel in der Fußnote - zurückgegriffen werden.
Ein weiterer Nachteil ist, dass Dissertationen in der Regel nicht von vorne bis hinten gelesen werden und dann die Erklärung vielleicht nicht mitgenommen wird, wohingegen Methodenteile beispielsweise häufig zuerst gelesen werden.
Falls sich für diese Methode entschieden wird, sollte exakt darauf geachtet werden, die erste Textstelle zu verwenden und keine spätere. Da sich der Text während der Bearbeitung vielfach verändert und verschiebt, sollte beim Korrekturlesen vor Abgabe darauf geachtet werden.
Neben den genannten Stellen in der Dissertation gibt es auch einige ungeeignete Stellen.
Dazu zählt das Abkürzungsverzeichnis, das alle im Werk verwendeten Abhandlungen definiert. Unabhängig von der verwendeten Schreibweise stellen gerade diejenigen, die die Existenz von Gender als Spektrum darstellen möchten, keine Abkürzungen dar. Aus dieser Perspektive sollte nicht in einzelne Kategorien unterteilt werden und deshalb auch keine verkürzte Darstellung von mehreren Kategorien erfolgen. Folglich ist eine Wiedergabe im Abkürzungsverzeichnis nicht korrekt. Zudem sind gegebenenfalls genannte Argumente an dieser Stelle für interessierte oder skeptische Leser*innen nur schwer auffindbar. Bei der Verwendung diskriminierungssensibilisierter Sprache stellen das N- oder I-Wort zwar grundsätzlich Abkürzungen dar, bei einer Ausformulierung im Abkürzungsverzeichnis wird die damit ausgedrückte Diskriminierung aber nur an diese Stelle verschoben. Diskriminierende Sprache sollte aber - egal an welcher Stelle - gerade nicht reproduziert werden (vgl. hier).
Auch in der Danksagung erscheint eine Erklärung der verwendeten Schreibweise nicht sinnvoll. Die Danksagung gibt den Autor*innen die Möglichkeit, gegenüber Betreuer*innen, Ansprechpartner*innen und anderen nahestehenden Personen Wertschätzung und Erkenntlichkeit auszudrücken. Die Erklärung der verwendeten Schreibweise fällt aber nicht in diese Kategorie, sie kann lediglich nochmal aufgegriffen werden, wenn eine Person bzw. Gruppe in diesem Punkt besonders unterstützend war.
Absolut ungeeignet ist das Literaturverzeichnis, da dort die verwendeten Quellen vollständig aufgeführt werden, um ein schnelles Auffinden zu ermöglichen. Die verwendete, sensibilisierte Schreibweise ist aber keine Literatur, Rechtsprechung oder eine andere zu erwähnende Quelle. Etwas anderes gilt natürlich, wenn im Rahmen der Erläuterung der verwendeten Sprache auf Literatur verwiesen wird.
Klarstellend sei darauf hingewiesen, dass eine Erläuterung der verwendeten Sprache im Text nach dem ersten angepassten Sprachgebrauch nicht sinnvoll ist. Aus Gründen der Logik und Stringenz sollte die verwendete Sprachweise grundsätzlich an einer der oben genannten Stellen erläutert - oder eben ganz darauf verzichtet - werden. Etwas anderes gilt nur dann, wenn sich die verwendete Schreibweise ändert oder, wenn bei diskriminierungssensibilisierter Sprache eine neue Diskriminierungsform oder ein bestimmtes Wort bzw. eine bestimmte Schreibweise nochmals einer gesonderten Erläuterung bedarf.
Behandelt der Text genaue Beispiele von Diskriminierungen, sei es durch originalgetreue Zitate, durch die Darlegung von expliziten Beispielen oder durch ähnliche Anwendungsfälle, sollte über eine textliche Warnung nachgedacht werden. Solche Warnungen sind unter anderem bekannt als “Inhaltswarnung”, “Triggerwarnungen” (“TW”), “Content Notice/Note/Notification” (“CN”), “Content Warning” (“CW”) [dt. Auslöserwarnung, Inhaltshinweis].
Sie werden verwendet, um Personen, bei denen die Wahrnehmung von bestimmten sensiblen Wörtern und Inhalten zu einer negativen emotionalen Reaktion führen könnte, zu warnen. Mit einer vorgelagerten Warnung haben Personen es somit selbst in der Hand, sich der Wahrnehmung (im Falle eines Textes: dem Lesen) auszusetzen oder nicht und sich auf die Kenntnisnahme von sensiblen Inhalten vorzubereiten. Ziel ist es also, sensible Themen zu kennzeichnen, die von Leser*innen als belastend empfunden werden können.
Zwar ist in einem wissenschaftlichen Text wie einer Dissertation davon auszugehen, dass die Sprache sehr formal und daher auch distanziert ist, sodass zum Beispiel kein Vergleich mit einem True Crime Podcast zu ziehen ist. Dennoch ist es teilweise unausweichlich, Vorgänge zu schildern, die aus o.g. Gründen mit Inhaltswarnungen versehen werden könnten. Dies erscheint insbesondere in solchen Fällen unerlässlich, in denen Gerichtsurteile besprochen werden. Der Sachverhalt müsste hierfür zumindest knapp erklärt werden und kann sensible Vorgänge aller Art umfassen. Eine klassische Häufung solcher Sachverhalte findet sich in speziellen strafrechtlichen Gebieten, vor allem im Sexualstrafrecht, in dem eine genaue Schilderung von bestimmten Tathandlungen negative emotionale und/oder psychische Folgen für Leser*innen mit sich bringen könnte.
Wie immer ist die Entscheidung, ob und wie eine solche Warnung eingesetzt wird, individuell. Gleichzeitig sollten Warnungen nicht inflationär genutzt werden. Zudem hilft es auch nicht, wenn nur auf das Wort “Inhaltswarnung” abgestellt wird, ohne darauf hinzuweisen, worauf sich diese bezieht. Wichtig ist, dass sie der lesenden Person früh genug im Text angezeigt wird, damit die Option des Überspringens besteht. Deshalb sollten die genauen Seitenzahlen mit den gegebenenfalls sensiblen Inhalten präzise angegeben werden.
Das Wort “Triggerwarnung” (“TW”) wird oft verwendet und steht deshalb mit einem zunehmend inflationären Gebrauch im Zusammenhang.10 Dieses Phänomen fällt insbesondere in Zeiten von Social Media auf. Zunächst dürfte es jedoch sehr individuell sein, wann welche Reaktion bei welcher*m Leser*in durch was genau ausgelöst oder eben nicht ausgelöst wird. Aufgrund dessen bietet es sich an, zumindest bei deutschsprachigen Arbeiten, den Begriff der “Inhaltswarnung” zu verwenden. Problematisch ist daran auch, dass das Wort “Trigger” (dt. Auslöser, Auslösemechanismus) semantisch bereits eine gewisse Finalität ausdrückt, Leser*innen somit schon in eine Richtung gelenkt werden, wie sie den folgenden Text auffassen, obwohl er noch gar nicht gelesen wurde. Eine Reaktion könnte deshalb schon vor dem eigentlichen Lesen hervorgerufen bzw. vorprogrammiert oder beim späteren Lesen verstärkt werden.11
Differenzieren könnte man bei der Art der Inhaltswarnung zwischen “Content Warning” (“CW”) und “Content Notice/Note/Notification” („CN“). Erstere benennt das auf die Inhaltswarnung folgende Thema (beispielsweise “CW: Polizeigewalt”). Eine “Content-Notification” hingegen nennt neben dem Thema eine kurze Beschreibung, ist also im Vergleich zu “Content Warnings” ausführlicher (beispielsweise “CN: physische Gewalt eines Polizeibeamten gegenüber einer Person of Color”).12
Aus Leser*innensicht sollte jeder*m die Möglichkeit gegeben werden, sich selbst zu entscheiden, ob sich zu einem bestimmten Zeitpunkt mit einem möglicherweise belastenden Thema auseinandersetzen werden möchte oder nicht. Dies gilt insbesondere für die Mehrzahl an Menschen unterhalb der Schwelle von pathologisch feststellbaren Traumata und sich ggf. darauf beziehenden posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS), sodass hier offenbleiben kann, ob Inhaltswarnungen nachweisbar vor erneutem Auslösen von PTBS oder anderen Retraumatisierungen schützen.13 Denn es ist nicht im eigenen Interesse, die Leser*innen emotionalem Stress und/oder emotionalem Druck aussetzen. Es zeigt sich somit, dass die gesamte Leser*innenschaft, unabhängig von etwaigen Vorerfahrungen in diesem Sinne, schützenswert ist.
Aus Autor*innensicht besteht ein grundsätzliches Interesse, dass der eigene Text gelesen und verstanden wird. Der Lesefluss könnte unterbrochen oder sogar gänzlich abgebrochen werden, wenn möglicherweise sensible Inhalte nicht entsprechend gekennzeichnet werden. Die Hürde sich als Leser*in selbst die genaue Stelle herauszusuchen, ab wann die Schilderung eines sensiblen Sachverhalts endet, wird in mindestens einigen Fällen so groß sein, dass sich nicht hinreichend mit dem Inhalt der wissenschaftlichen Arbeit bzw. eines speziellen Aspekts der Arbeit auseinandergesetzt wird.
Beispiel Kurzform: “CN: Sexualisierte Gewalt auf den Seiten 5-6.”
Beispiel Langform: “Hiermit wird eine Inhaltswarnung für die Beschreibung von sexualisierter Gewalt auf den Seiten 5, Zeile 7 bis Seite 6, Zeile 9 ausgesprochen.”
Beispiel Langform: “Im folgenden Abschnitt, unter 4. Anwendungsbeispiele, werden diverse Vorgänge genannt, die sensibel auf Menschen mit entsprechenden Vorerfahrungen wirken könnten oder allgemein eine Inhaltswarnung rechtfertigen. Dies betrifft sowohl geschlechts- als auch diskriminierungsspezifische Sachverhalte.”
Falls umsetzbar, können Inhaltswarnungen für eine bessere Kenntlichmachung gesondert formatiert werden (z.B. durch Schriftart, Schriftgröße, eingedrückte Zeilen, Fett- oder Kursivdruck).
Die nachfolgenden Beispiele könnten insbesondere auch in Fällen relevant sein, in denen besagte Thematik im konkreten Beispiel nicht das gesamte Thema einer Dissertation einnimmt, es jedoch im Rahmen von Urteilsbesprechungen oder -anmerkungen, Urteilen als solchen (z.B. Leitentscheidungen) oder für die Auslegung einer Rechtsnorm herangezogen wird (oder z.B. bereits in Gesetzeskommentierungen aufgenommen wurde). Auch Beispielfälle zur Veranschaulichung oder Argumentation innerhalb der eigenen Arbeit kommen in Betracht.
Beispiel 1: Schilderungen von physischer und/oder psychischer Polizeigewalt, ggf. auch mit Diskriminierungshintergrund, ggf. Waffengewaltandrohung oder -anwendung, z.B. auf Demonstrationen.
Beispiel 2: Schilderungen zu “Racial Profiling”, z.B. Polizeikontrollen, z.B. Frage nach der Rechtmäßigkeit von Verwaltungshandeln seitens Sicherheits- und Ordnungsbehörden jeglicher Art.
Beispiel 3: Schilderungen zu Fluchtbewegungen/-geschichten, Verschleppungen, Folter, Misshandlungen (insb. im Migrations- und Asylrecht).
Beispiel 4: Schilderungen von Kriegssituationen, Kriegsverläufen oder konkreten Kriegshandlungen, z.B. im Bereich des Völker- und Völkerstrafrechts, ggf. bei Subsumtion von Völkerstrafrechtstatbeständen.
Beispiel 5: Schilderungen von Zwangsumsiedlungsvorgängen (ggf. auch Flucht und Vertreibung), Apartheit im historischen oder aktuellen Zusammenhang, z.B. im Kolonialrecht.
Beispiel 6: Schilderungen von häuslicher Gewalt, konkrete Beschreibungen von Verwahrlosung, Vernachlässigung, ggf. Misshandlungen, z.B. in Sorgerechtsfällen oder Fällen von Kindeswohlgefährdung.
Beispiel 7: Schilderungen konkreter Sachverhalte im Zusammenhang mit Mobbing am Arbeitsplatz (Arbeitsrecht).
Beispiel 8: Konkrete Schilderungen, die mit Suizid, suizidalen Absichten o.ä. im Kontext stehen.
Beispiel 9: Schilderungen zu Gewalt in der Pflege, z.B. im Lichte der Rolle von Schutzbefohlenen im rechtlichen Sinn.
Beispiel 10: Schilderungen von Naturkatastrophen, z.B. im Energie-, Bau- und oder Umweltrecht, ggf. im Zusammenhang mit dem Klimawandel.
Beispiel 11: Beschreiben eines Unfallverlaufs (schwerer Straßenverkehrsunfall oder Arbeitsunfall), z.B. im Versicherungsrecht.
Beispiel 12: Wiedergabe von Diskriminierungsvorgängen im Adoptionsrecht, z.B. betreffend diskriminierende Begründungen in offiziellen Behördenschreiben.
Die dargelegten Möglichkeiten zu Erklärungen lassen sich grundsätzlich auch auf rechtshistorische Arbeiten übertragen. Allerdings ergeben sich regelmäßig wenige Sonderkonstellationen, bei denen eine weitere Ausdifferenzierung geboten erscheint. Je nachdem, ob es sich um eine rein rechtshistorische Arbeit handelt, oder einzelne Kapitel und Sequenzen historischer Abrisse enthalten sein sollen, beispielsweise betreffend Entwicklungsstadien von Rechtsnormen, die sich im Laufe der Zeit in Wortlaut und Regelungsgehalt weiterentwickelt haben, bieten sich verschiedene Einfallstore für Erklärungen geschlechter- und diskriminierungssensibilisierter Sprache. Für diskriminierungssensibilisierte Sprache ist zudem insb. auf das Kapitel zum sensibilisierten Zitieren zu verweisen. Ausgangspunkt folgender Ausführungen ist die Annahme, dass sich für eine gender- und diskriminierungssensibilisierte Sprache entschieden wurde und sich bei folgenden Sonderkonstellationen die Frage nach Ausnahmen von diesem (selbst) gewählten Grundsatz stellt.
In vielen rechtshistorischen Arbeiten wird zwangsläufig gendersensibilisierte Sprache auf Gegebenheiten treffen, die die geschlechterspezifischen Umstände der damaligen Zeit entweder inhaltlich oder sprachlich aufgreifen.
Beispiel 1: “Die Professoren der juristischen Fakultät im Jahr 1934”
Natürlich wäre auch hier aus prinzipiellen Gründen eine automatisch gendersensibilisierte Schreibweise möglich:
Beispiel 2: “Die Professor*innen der juristischen Fakultät im Jahr 1934”
Es stellt sich an dieser Stelle die Frage, wie mit Sachverhalten umgegangen werden kann, die eine Zeit betreffen, in der bspw. der Lehrkörper einer juristischen Fakultät nur aus männlich gelesenen Mitgliedern bestand oder ein ausschließlich aus Richtern besetzter Senat thematisiert wird und diese Tatsache gleichzeitig durch die historischen Umstände bedingt ist. Würde hier konsequent gendersensibilisierte Sprache verwendet, liefen die Ausführungen Gefahr, keine ausreichende Rücksicht auf die damalig vorherrschenden geschlechterspezifischen gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse zu nehmen und die historischen Gegebenheiten zu verfälschen. Denn insbesondere Gremien, Ausschüsse, Senatsbesetzungen und Fachkollegien wurden in dieser Zeit als homogene Gruppen etabliert.
Hinsichtlich der Erklärungsmöglichkeiten und -standorte bieten sich keine Unterschiede zu den bereits dargelegten. Gleiches gilt für die Notwendigkeit, die eigene Vorgehensweise zu erläutern. Dabei ist es möglich, knapp herauszustellen, wie patriarchalische Machtgefüge bspw. in Verwaltung und Wissenschaft zum Wirken kamen, ohne dabei einen, im eigentlichen Forschungsprojekt nicht angelegten, Schwerpunkt auf gendersensibilisierte Sprache zu setzen. Das bedeutet, es ist gut vertretbar, ausschließlich die männliche Form in diesen Ausnahmefällen zu verwenden und dies ggf. zu erklären. Methodisch empfiehlt es sich in den entsprechenden Einzelfällen zu recherchieren, ob und ab wann genau Menschen mit nicht männlichem Geschlecht die fraglichen Posten bekleiden konnten oder tatsächlich bekleidet haben.
Für dieses spezielle Thema ergeben sich gesonderte Anknüpfungspunkte für mögliche Erklärungen, insb. bei rechtsfeministischen Forschungsthemen, die ansonsten ausschließlich gendersensibilisierte Sprache verwenden. Es ließe sich anführen, der Anspruch an eine wissenschaftliche Arbeit würde voraussetzen, die historisch bedingten Verhältnisse patriarchalischer Machtstrukturen realitätsgetreu und detailgerecht wiederzugeben. Daneben würde so ein inhaltlicher, wie sprachlicher Kontrast zu denjenigen Ausführungen erzeugt, die Aktualitätsbezug bzw. einen aktuelleren Bezug aufweisen. Hierdurch würde zudem für die wissenschaftliche Nachwelt eindeutig, wie tief stereotypische Geschlechterrollen in unserer Geschichte und auch jüngsten Vergangenheit verwurzelt sind. Letztlich stellt sich diese Vorgehensweise ins Licht der Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis, indem nicht von der Hand zuweisende Tatsachen besten Gewissens und so realitätsnah wie nur möglich wiedergegeben werden.
Mit dem Verweis, dass in den betreffenden Epochen immer wieder weiblich gelesene Personen in Positionen vertreten waren, an denen wir es nicht vermuten, diese aber in der Geschichtswissenschaft nicht reproduziert wurden und uns deshalb unbekannt sind, lässt sich die Einhaltung gendersensibilisierter Sprache ebenso begründen. Allerdings ist in diesen Fällen eine sorgfältige Recherche notwendig, wenn es zum Beispiel um ein ganz bestimmtes Gremium geht, dessen Mitglieder bekannt und öffentlich sind (Beispielsweise die Mitglieder eines Ausschusses im Parlamentarischen Rat. Über die personelle Zusammensetzung existiert eine Fülle an Literatur, wonach die meisten Ausschüsse pluralistisch besetzt waren). Letztlich lässt sich anführen, dass es jedenfalls trans*/inter* Personen gab, diese sich aber aufgrund der gesellschaftlichen Umstände nicht geoutet haben.
In rechtshistorischen Dissertationen trifft diskriminierungssensibilisierte Sprache in einer Vielzahl von Fällen auf Werke oder ganze Autor*innen, die sprachlich und/oder inhaltlich rassistische, diskriminierende oder antisemitische Elemente enthalten und/oder vertreten. Dabei sind mehrere Konstellationen denkbar:
Entweder: Ein nicht in diesem Sinne konnotierter Begriff wird in einem Werk verwendet, der*die Autor*in möchte sich in den eigenen Ausführungen jedoch von den dortigen sprachlich abgrenzen. Im Ausgangswerk wird also ein Begriff verwendet, der nicht rassistisch ist, aber so gemeint sein soll.
Beispiel: “Eine Schwarze Person” / “eine schwarze Person”
Oder: Es geht um einzelne, tatsächlich diskriminierende Terminologien, die ein Synonym hierfür darstellen sollen.
Beispiel: “Farbiger” / “Farbige”
Problematisch hieran ist in beiden Beispielen, dass solche Literatur und Autor*innen nicht reproduziert (vgl. hier) werden sollte und sich vom verwendeten Sprachgebrauch distanziert werden könnte. Unabhängig von der persönlichen Entscheidung, inwieweit diese Begrifflichkeiten umfassende wörtliche Zitate behandelt werden, kann sich in den eigenen Ausführungen sprachlich abgegrenzt werden. Illustrierend sei verwiesen auf das Living Begriffsglossar, insbesondere zum Begriff „Farbige“, wo es zwingend auf eine Verwendung der Selbstbeschreibung betreffender Personen ankommt; vgl. i.Ü. das Kapitel zum sensibilisierten Zitieren.
Das betrifft oft Arbeiten, die sich mit rechtswissenschaftlichen Werken aus der Zeit des Nationalsozialismus beschäftigen. Dabei geht es inhaltlich in vielen Fällen um die Verwendung rassistischer und/oder antisemitischer Substantive in Bezug auf deutsches oder ausländisches “Rasserecht”, an einigen Stellen sogar um die Verknüpfung derer mit weiteren diskriminierenden oder diskriminierungsanfälligen Rechtsgebieten, die zu dieser Zeit typischerweise ein Einfallstor für weitere diskriminierende Interpretationen boten, zum Beispiel das Kolonialrecht.
Eine Erklärung erscheint in diesem Zusammenhang denkbar, was besonders für solche Fällen gilt, die dem Grunde nach nicht zwingend diskriminierende Sprache betreffen. Auch der Erklärungsumfang dürfte in den meisten Fällen weitreichender ausfallen, da sie sich zum einen wohl oft im Bereich gesamtrechtshistorischer Arbeiten auftun, die Begrifflichkeiten also permanent präsent sind. Zum anderen existieren mannigfaltige Möglichkeiten, Diskriminierungsformen mithilfe anderer Terminologien entgegenzutreten, sodass den Leser*innen (und den Betreuungspersonen) die Möglichkeit gegeben werden sollte, die zusätzliche historische Dimension der Arbeit im Ganzen zu erfassen und die verwendete Sprache präzise einordnen zu können.
Beispiel: Es wurde sich für die Verwendung des Begriffs “People of Color” (PoC) entschieden. Ein zu interpretierendes Werk nennt einen diskriminierenden oder auch nichtdiskriminierenden Oberbegriff und erläutert, welche verschiedenen Ethnien hierunter “mitgemeint” sein sollen. Egal, ob der Begriff PoC auch dann verwendet wird oder weitere Ausdifferenzierungen genutzt werden (“Black People of Color” (BPoC) oder “Black, Indigenous and People of Color” (BIPoC)), sollten die Begriffe und die Vorgehensweise erläutert werden, um einen genauen Begriffsmaßstab festzulegen.
Eine ausführlichere Stellungnahme in der Einleitung oder innerhalb der Fußnoten bei erster Nennung bieten die wohl am besten geeigneten Möglichkeiten, da ein Methodenkapitel in Dissertationen zur Rechtsgeschichte eher unüblich, gleichwohl aber möglich ist.
Als Erklärung ließe sich ebenfalls anführen, in der eigenen Arbeit sowohl eine sprachliche als auch eine inhaltliche Distanzierung von Positionen und Ideologien der betreffenden Autor*innen anzustreben, selbst bei eventuell unproblematischen Begriffen, die in der Gesamtschau jedoch eindeutig diskriminierend instrumentalisiert werden. Die Deutlichmachung eines sprachlichen Kontrastes ist darüber hinaus angebracht, um aufzuzeigen, dass mit offener Diskriminierung konnotierten Begriffen kein Einzug in die heutige Wissenschaftsljiteratur geboten wird, wohl aber kenntlich gemacht werden soll, wie und in welchem Maß sich in dem betreffenden Werk diskriminierender Sprache bedient wurde.
Die Kommunikation innerhalb der Dissertation ermöglicht zudem, allen die eigene Vorgehensweise verständlich zu machen. Denn es existiert weder ein verbindlicher und einheitlicher Standard für den Themenkreis diskriminierungssensibilisierter Sprache, noch ist zum heutigen Zeitpunkt davon auszugehen, dass sich Betreuungspersonen mit dieser Materie genauso gut auskennen wie der*die jeweilige Autor*in.
Lesehinweise zum Thema Inhaltswarnungen:
Simone Schlosser, Triggerwarnungen - Nicht inflationär benutzen, Deutschlandfunk Nova, 26.6.2021, https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/triggerwarnungen-in-medien-sollten-nicht-inflation%C3%A4r-eingesetzt-werden.
Sarah Glatte, Mit dem Finger am Abzug. Wer sollte über Triggerwarnungen entscheiden?, 25.5.2015, https://freespeechdebate.com/de/discuss/mit-dem-finger-am-abzug-wer-sollte-ueber-triggerwarnungen-entscheiden/.
Shoko Bethke, „Anmaßend, weil fremdbestimmend“, Triggerwarnungen gehören heute zum medialen Alltag. Warum das niemandem hilft und Trigger nicht „retraumatisieren“, taz, 27.1.2023, https://taz.de/Psychologe-ueber-Triggerwarnungen/!5907830/.
Ob sich im Ergebnis für eine Erklärung über verwendete gender- und diskriminierungssensibilisierte Sprache entschieden und in welcher Art und Weise sie erklärt wird, ist eine persönliche Entscheidung, die von diversen Faktoren wie u.a. von Rechtsgebiet und Betreuung abhängt.
Eine wissenschaftliche Arbeit wie eine Dissertation sollte final auf Einheitlichkeit Wert legen.