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Argumente für gender- und diskriminierungssensibilisierte Sprache

Published onOct 05, 2023
Argumente für gender- und diskriminierungssensibilisierte Sprache
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Notwendiges Vorwissen: Linguistik, Gender und Recht; Mehr als nur Gender: Andere Dimensionen diskriminierungssensibilisierter Sprache

Lernziel: Ziel des Kapitel ist es, Schreibenden, die sich in ihrer Dissertation für eine gendersensibilisierte Sprache entschieden haben, Argumente für die Kommunikation mit Dritten an die Hand zu geben.

Ob in einem Text gendersensibilisierte Sprache verwendet wird, entscheidet die*der Autor*in. Wir weisen darauf hin, dass wir nicht das Ziel verfolgen, Autor*innen zum Gendersternchen oder -doppelpunkt zu “zwingen”. Jede*r entscheidet selbst, wie sie*er spricht und schreibt.

Das folgende Kapitel richtet sich in erster Linie an Personen, die eine gendersensibilisierte Sprache bereits für sinnvoll erachten und soll ihnen als Argumentationshilfe dienen. Im ersten Abschnitt werden Argumente vorgebracht, die für Doktorand*innen und Studierende, die eine inklusivere Sprache als das sog. generische Maskulinum verwenden wollen, im Gespräch mit anderen (zum Beispiel mit Betreuungspersonen) hilfreich sein können. Im zweiten Abschnitt zeigen wir auf, wie typische Argumente, die sich gegen eine gendersensibilisierte Sprache richten, entkräftet werden können. Die vorgebrachten Argumente und Gegenargumente sind nicht abschließend, sondern dienen als Impulse, die stetig weitergedacht und -entwickelt werden können.

Die Autorinnen dieses Kapitels freuen sich jederzeit über Feedback und Anregungen an [email protected].

I. Argumente für gendersensibilisierte Sprache

Zunächst zu den Argumenten für eine gender- und diskriminierungssensibilisierte Sprache:

1. Sprache perpetuiert Machtstrukturen des (patriarchal geprägten) Status quo

Wie tief Sexismen in deutschsprachigen Gesellschaften verankert sind, zeigt sich nicht zuletzt in der deutschen Sprache. Wie alle Sprachen wandelt sich die deutsche Sprache ständig und wird durch vergangene und fortbestehende gesellschaftliche Prozesse und Ungleichheiten geformt.1 Dass im Deutschen - wie in den meisten Sprachen - das Geschlecht von Personen und Gegenständen grammatikalisch von großer Bedeutung ist, begründet sich nicht zuletzt darin, dass die gesellschaftliche Stellung einer Person entscheidend dadurch geprägt wurde, welches Geschlecht ihr zugesprochen wurde.2 Das sog. generische Maskulinum verfügt insofern über ein historisches Fundament. Gleichzeitig beeinflusst es heutige Machtstrukturen. So haben psycholinguistische Studien aufgezeigt, dass es einen signifikanten Unterschied macht, ob Frauen durch die Verwendung des sog. generischen Maskulinums lediglich “mitgemeint” sind, oder ob Frauen und Männer explizit angesprochen werden.3 Wird in Texten beispielsweise nur von Wählern, Politikern, Arbeitgebern und Arbeitnehmern gesprochen, während weibliche Personen begrifflich als Hausfrauen oder Reinigungsfrauen abgebildet werden, werden bei Leser*innen entsprechende Assoziationen geweckt: (Cis-)Männer agieren in der Außenwelt, (Cis-)Frauen kümmern sich um häusliche Aufgaben. Dieses Phänomen kann bereits bei Kindern beobachtet werden.4 Ihr Bewusstsein wird durch den sprachlichen Genus (das grammatische Geschlecht) eines Wortes gelenkt. Wie Studien zeigen, erhöht die Nennung von Paarformen (Bsp.: Politikerin und Politiker) - im Unterschied zur Verwendung des sog. generischen Maskulinums (Bsp.: Politiker) - die Repräsentanz von weiblichen Berufstätigen, wodurch die Genderkonzepte der Berufsbilder verändert werden können.

Verfechter*innen des sog. generischen Maskulinums sehen seinen (vermeintlichen) Vorteil darin, dass mit ihm gesellschaftliche Prozesse einfacher und verständlicher dargestellt werden können. An die Stelle aller tritt nur der exemplarische (Cis-)Mann. Nur eine Perspektive - nämlich seine - muss dargestellt werden. Der Vorteil dieser Vereinfachung ist zugleich ihr Nachteil. Das sog. generische Maskulinum eignet sich nicht dazu, Sachverhalte adäquat zu beschreiben, da diesen meist mehr als eine Perspektive - und unter Umständen komplexe Machtstrukturen - zugrunde liegen. Sofern beispielsweise weiblich gelesene Arbeitnehmer*innen von männlich gelesenen Arbeitgeber*innen benachteiligt werden, weil die diskriminierenden Personen die diskriminierten als Frauen einordnen, werden die ausschlaggebenden geschlechtsspezifischen Dimensionen sprachlich nicht abgebildet, wenn nur von “Arbeitnehmern” und “Arbeitgebern” gesprochen wird. Eine Sprache, in der gesellschaftliche Probleme nicht dargestellt werden können, trägt dazu bei, dass diese nicht als solche begriffen werden. Fehlen die Worte, um gesellschaftliche Prozesse zu beschreiben, können sie auch nicht verändert werden.

2. Rechtswissenschaftliche Forschungsarbeiten beeinflussen den gesamtgesellschaftlichen Diskurs

Jurist*innen haben, in der Rechtswissenschaft als staatsnaher und politisch einflussreicher Disziplin, großen Einfluss auf die Gesellschaft. Rechtswissenschaftliche Diskurse haben eine große gesellschaftliche Bedeutung. Dies hängt insbesondere damit zusammen, dass der rechtliche Rahmen nahezu jede (politische) Diskussion beeinflusst und mitgestaltet. Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang, dass Sprachwandel vor allem passiert, wenn er von statushohen Gruppen vorgelebt wird.5 Dazu zählen unter anderem Doktorand*innen und Wissenschaftler*innen.

3. Überwiegend gestalten weiße, männliche, heterosexuelle, nichtbe_hinderte Menschen das Recht

Die Rechtswissenschaft ist eine Buchwissenschaft und Sprache somit ihr wichtigstes Werkzeug. Nicht nur im Recht, sondern über Sprache im Allgemeinen wird Macht ausgeübt.6 Gerade im Recht tritt überdies der Umstand hinzu, dass es sich dabei um ein Mittel der Sozialgestaltung handelt.7 Beachtlich ist, dass die deutschen Rechtsgebiete vor allem von männlichen, heterosexuellen Menschen ohne Behinderung aus einer weißen Perspektive gestaltet und geprägt wurden.8 Und auch die heutige Rechtswissenschaft ist vorwiegend weiß,9 männlich, heterosexuell und able-bodied. Dass Angehörige marginalisierter Gruppen in der Rechtswissenschaft nicht entscheidungsführend sind und es bislang nicht waren, trägt dazu bei, dass marginalisierte Perspektiven im rechtswissenschaftlichen Diskurs unterrepräsentiert sind und bislang noch nicht ihren Weg in den “Mainstream” gefunden haben. Eine Entschuldigung ist das gleichwohl nicht. Rechtswissenschaftler*innen sollten sich bewusst werden, wie wirkungsmächtig Recht als Mittel der Sozialgestaltung ist und welche Macht Sprache im Allgemeinen - aber in rechtswissenschaftlichen Texten im Besonderen - zukommt.10 Sofern Rechtswissenschaftler*innen sich ihrer Verantwortung bewusst werden, können sie diese Werkzeuge gezielt einsetzen, um einen Beitrag zu einer gender- und diskriminierungssensibilisierten Wirklichkeit zu leisten. Marginalisierte Personen in rechtwissenschaftlichen Texten sichtbar zu machen, ist hierbei ein leichtes - aber umso wirksameres - Mittel. Dies kann durch die Verwendung sensibilisierter Sprache ebenso erfolgen wie durch das Rezipieren von Inhalten von marginalisierten Personen. Insbesondere männliche, heterosexuelle und/oder weiße Personen sollten sich diesem Umstand sowie ihrer Verantwortung bewusst werden und sowohl die Sprache als auch den Inhalt ihrer Texte nutzen, um den Status quo aufzubrechen.

4. Es gibt nicht nur Cis-Frauen und Cis-Männer (Vielfaltsdimensionen)

Entgendern bedeutet nicht nur, Frauen sichtbarer zu machen. Es inkludiert auch alle, die weder Cis-Frau noch Cis-Mann sind (Vielfaltdimension). Wie im Kapitel Methoden gendersensibilisierter Sprache erläutert, kann dies unter anderem durch die Verwendung des “Sterns” oder “Doppelpunkts” erreicht werden. Es gibt jedoch auch Formen gendersensibilisierter Sprache, die lediglich eine binäre Geschlechterordnung spiegeln und dadurch Vielfaltsdimensionen gerade nicht sichtbar machen.

Obwohl in unserer Gesellschaft bis heute Menschen meist bei der Geburt anhand ihrer äußeren Geschlechtsorgane in weiblich und männlich unterteilt werden, entspricht diese starre und binäre Klassifizierung weder der medizinischen noch der psycho-sozialen Geschlechterforschung.11 Einerseits können nicht alle Menschen biologisch als Frauen und Männer eingeordnet werden (sog. inter* Personen).12 Andererseits muss das biologische Geschlecht, das durch mehr Faktoren als nur anhand der primären Geschlechtsorgane zu bestimmen ist, nicht zwingend mit der sozialen Geschlechterrolle eines Menschen übereinstimmen.13

Eine Sprache, die Frauen und vor allem nichtbinäre Personen begrifflich nicht berücksichtigt, ist kein Abbild der Realität. Gleichzeitig beeinflusst sie die Wirklichkeit, indem sie die Personen - meist Cis-Männer -, die ausdrücklich angesprochen werden, zur Norm erhebt und alle anderen - samt ihrer Rechte und Herausforderungen - für nicht erwähnenswert hält. Doch warum sollte nur ein Teil der Bevölkerung die Möglichkeit haben, differenziert wahrgenommen zu werden? Auch das Bundesverfassungsgericht erkennt in seiner Entscheidung zur “dritten Option”, dass Sprache untrennbar mit der Identität von Menschen verbunden ist.14 Nicht nur Cis-Personen, sondern alle Menschen haben das Recht, als vielschichtige Individuen wahrgenommen zu werden. Sprache, die bspw. nichtbinäre Personen nicht abbildet, ist schlicht nicht komplex genug, um die Bevölkerung oder gesellschaftliche Herausforderungen adäquat zu begreifen.

5. Gerade bei Dissertationen zum Antidiskriminierungsrecht erscheint es naheliegend, auf gender- und diskriminierungssensibilisierte Sprache zu achten

Besondere Bedeutung hat die Verwendung inklusiverer Sprache für bestimmte Bereiche der Rechtswissenschaft. Vor allem Rechtswissenschaftler*innen, die in ihrer Dissertation zum Antidiskriminierungsrecht forschen, sollten den Anspruch haben, sich mit gender- und diskriminierungssensibilisierter Sprache auseinanderzusetzen. So liegt der Kern des Antidiskriminierungsrechts darin, Rechte marginalisierter Personen und Gruppen zu stärken bzw. diesen Recht zu verleihen. Dies sollte sich auch in der Sprache, die die Arbeit verwendet, widerspiegeln, um auf dieser Ebene für Sichtbarkeit zu sorgen. Mit Blick auf die Figur der Intersektionalität15 und Mehrdimensionalität überzeugt auch nicht das Argument, dass die Arbeit sich lediglich mit einer ausgewählten Diskriminierungsdimension (bspw. Rassismus) beschäftige und somit Diskriminierungen aufgrund weiterer oder anderer Kategorien (bspw. Geschlecht) außer Acht gelassen werden können. Zugespitzt formuliert drängt sich folgende Frage auf: Widerspricht die sprachliche Form einer Dissertation zum Antidiskriminierungsrecht, die auf die Verwendung gender- und diskriminierungssensibilisierter Sprache verzichtet, nicht ihrem Inhalt?16

6. Gender- und diskriminierungssensibilisierte Sprache ist Ausdruck der Wissenschaftsfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG

Sprache ist das zentrale Medium rechtswissenschaftlicher Forschung. In Wahrnehmung der Wissenschaftsfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG steht es jeder Person frei, zu bestimmen, ob, und wenn ja, in welcher Form, gender- und diskriminierungssensibilisierte Sprache verwendet werden soll. Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG schützt die wissenschaftliche Betätigung vor staatlichen Eingriffen und steht allen Personen zu, die wissenschaftlich tätig sind oder werden wollen. Dies umfasst auch wissenschaftliche Mitarbeiter*innen, die mit der Anfertigung einer Dissertation einer selbstständigen wissenschaftlichen Tätigkeit nachgehen.17 Wissenschaft ist nach dem Bundesverfassungsgericht “was nach Inhalt und Form als ernsthafter und planmäßiger Versuch zur Ermittlung von Wahrheit anzusehen ist”.18 Demnach schützt Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG “die auf wissenschaftlicher Eigengesetzlichkeit beruhenden Prozesse, Verhaltensweisen und Entscheidungen beim Auffinden von Erkenntnissen, ihrer Deutung und Weitergabe”19 und damit auch die zur Verbreitung der Forschungserkenntnisse gewählte sprachliche Form.20 Die Verwendung gender- und diskriminierungssensibilisierter Sprache ist gleichermaßen umfasst wie jene des sog. generischen Maskulinums.

II. Argumente, um Gegenargumente zu entkräften

Es gibt zahlreiche Argumente, die in der Diskussion gegen die Verwendung diskriminierungssensibilisierter Sprache, und dabei vor allem gegen gendersensibilisierte Sprache, vorgebracht werden. Es wurden neben einer Fülle an Tweets und Beiträgen, die in manchen Fällen auch nur den Ansatz einer sachlichen Debatte vermissen lassen, mittlerweile sogar ganze Bücher dem Thema gewidmet.21 Die folgenden Ausführungen sollen helfen, mögliche Gegenargumente, die von den betreuenden oder anderen Personen vorgebracht werden können, zu entkräften.

1. “Aber Frauen sind doch mitgemeint.”

Ein häufiges Argument gegen gendersensibilisierte Sprache ist, dass Frauen und nichtbinäre Personen vom sog. generischen Maskulinum mitgemeint seien.22 Es sei “jedem klar”, dass das sog. generische Maskulinum Frauen und Männer umfasse.23 Das sog. generische Maskulinum biete die “einfachste, eleganteste und flexibelste Möglichkeit des Deutschen, Sexusdiskriminierung zu vermeiden”.24

a. Frauen waren rechtshistorisch häufig nicht mitgemeint

Erstens spricht eine (rechts-)historische Betrachtung dagegen, dass nichtmännliche Personen sich damit zufriedengeben sollten, vom sog. generischen Maskulinum umfasst zu sein. Bsp. waren Frauen von den “allgemeinen” Menschenrechten in der amerikanischen Verfassung von 1787 und der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 nicht umfasst, also gerade nicht “mitgemeint”.25 Und auch in der deutschen Verfassungsgeschichte richtete sich die Formulierung “allgemeines, gleiches” Wahlrecht bis 1918 nur an die männliche Bevölkerung.26 Der Ausschluss von Frauen und nichtbinären Personen wurde dabei nicht oder nur am Rande thematisiert.27 Die Geschichte zeigt daher, dass nie evident ist, wann sich das sog. generische Maskulinum nur auf Männer und wann auch auf Frauen und nichtbinäre Personen bezieht und dass sich der diesbezügliche Konsens ändern kann.28 Das sog. generische Maskulinum legt Frauen und nichtbinären Personen “die zusätzliche Bürde auf, ständig darüber nachzudenken, ob sie in einem konkreten Fall mitgemeint sind oder nicht”29 und birgt das Risiko des Nicht-mehr-Mitgemeint-Seins.30 Gerade für die Rechtssprache ist daher zu konstatieren, dass die Frage, ob Frauen vom sog. generischen Maskulinum umfasst sind, durchaus eine der Auslegung ist. Die Verwendung des sog. generischen Maskulinums kann im Ergebnis dazu führen, dass unterschiedlich beurteilt wird, ob im konkreten Fall Frauen, Männer und nichtbinäre Personen oder nur Männer gemeint sind. Rechtssprache kann Verbindlichkeiten jedoch nur zuverlässig übermitteln, wenn sie verlässlich aussagt, was gemeint wird - sie also allen Adressat*innen möglichst gleiche Verbindlichkeiten überbringt.31

b. Das sog. generische Maskulinum bedingt männlich-geprägte Vorstellungsbilder

Inhaltlich ist gegen das “Mitgemeintsein” überdies Folgendes einzuwenden:

Zwar stimmt es, dass das sog. generische Maskulinum in vielen Kontexten auch Frauen und nichtbinäre Personen bezeichnen soll.32 Die meisten Personenbezeichnungen33 sind mutmaßlich inklusiv beabsichtigt, das heißt, die Autor*innen denken nicht nur an Cis-Männer, sondern an Menschen im Allgemeinen, wenn sie das sog. generische Maskulinum einsetzen, um eine Gruppe von Personen zu beschreiben.

Einzuwenden ist aber, dass es nicht allein im Ermessen der Sprechenden liegt, zu entscheiden, wer vom sog. generischen Maskulinum angesprochen wird.34 Kommunikation ist nur dann erfolgreich, wenn Rezipient*innen das Gemeinte auch wie gemeint verstehen.35 Ob Empfänger*innen verstehen, dass nicht nur (Cis-)Männer, sondern auch Frauen und nichtbinäre Personen von der Aussage umfasst sind, ist, sofern das sog. generische Maskulinum verwendet wird, allerdings zumindest zweifelhaft. Denn: Bei Verwendung des sog. generischen Maskulinums entsteht bei Rezipient*innen gedanklich vornehmlich das Bild männlicher Personen.36 Wie empirische Forschungen zeigen, werden maskuline Personenbezeichnungen vorrangig männlich interpretiert.37 Hinzu kommt, dass Personenbezeichnungen im sog. generischen Maskulinum im Deutschen auch im Plural nicht geschlechtsübergreifend verstanden werden, sondern vielmehr die stereotype Vorstellung vom grammatischen Geschlecht überlagert wird.38 Dieser Effekt mag nicht bei jedem einzelnen Mitglied der Sprachgemeinschaft bewusst auftreten. Auch ist hier in den seltensten Fällen ein “böser Wille” zu unterstellen. Empirisch sind solche sprachbedingten Vorstellungsbilder gleichwohl belegt.39 Es ist Stand der psycholinguistischen Forschung, dass ein “generisches” Maskulinum im Deutschen nicht existiert.40

c. Das sog. generische Maskulinum verfestigt heteronormative Stereotypisierungen

Das wichtigste Argument gegen die These, dass Frauen doch mitgemeint seien, ist indes, dass Sprache die Wirklichkeit nicht nur abbildet, sondern auch Werte setzt.41 Durch die Verwendung einer gesprochenen und geschriebenen inklusiveren Sprache werden Menschen in ihrer Einzigartigkeit sichtbar.42 Wie unter I. 1. (Sprache perpetuiert Machtstrukturen des (patriarchal geprägten) Status quo) erläutert, beeinflusst der sprachliche Genus insbesondere bei Kindern das Bewusstsein und die Vorstellungen von Geschlecht.43 Kinder (und auch Erwachsene) stellen sich, wenn Begriffe wie “Ärzte” verwendet werden, regelmäßig nur (Cis-)Männer vor. Wird hingegen von “Ärztinnen und Ärzten” gesprochen, weitet dies das Vorstellungsbild auf Frauen aus, wodurch das Genderkonzept über diese Berufe verändert wird.44 Das sog. generische Maskulinum macht Frauen und nichtbinäre Personen hingegen nicht hinreichend sichtbar.45 In der Sprachforschung ist der Effekt belegt, dass das sog. generische Maskulinum über die psychologische Wirkung der Sprache die tradierte Rollenverteilung festigt und Stereotype perpetuiert.46 Daher passt die gesellschaftliche Wirklichkeit heute vielfach nicht mehr zu einem traditionellen Sprachgebrauch wie dem sog. generischen Maskulinum.47 Das sog. generische Maskulinum ignoriert die Präsenz von Frauen und nichtbinären Personen in der (Arbeits-) Welt.48 Nur eine inklusivere Sprache kann vermitteln, wie die soziale und gesellschaftliche Wirklichkeit tatsächlich aussieht.49

2. “Das grammatische Geschlecht ist nicht das biologische Geschlecht.”

Ein weiteres Argument gegen gendersensibilisierte Sprache lautet, dass deren Befürworter*innen grammatisches und biologisches/soziales Geschlecht gleichsetzen würden.50 Die Gleichsetzung sei jedoch falsch.51 Im sog. generischen Maskulinum erscheine nur eine Rolle. Es sei Sache des Einzelfalles und des Lebens, die Rolle mit einem Mann oder mit einer Frau zu besetzen.52 Das sei selbstverständlich und werde allein durch die Verwendung gendersensibilisierter Sprache in Frage gestellt.53 Grammatik solle als Grammatik und nicht als “Geschlechterkampf” begriffen werden.54 Für den mangelnden Zusammenhang werden häufig Beispiele aus dem Tierreich oder Sachen angeführt.55

Die Unterscheidung von sprachlichem Genus und biologischem Sexus schlägt allerdings insofern fehl, als es bei dem Anliegen gendersensibilisierter Sprache nicht um die Theorie der Grammatik geht, sondern um den aktiven, alltäglichen Gebrauch und die Rezeption von Sprache. Das Argument ist auch deshalb unscharf, weil es davon ablenkt, dass es Befürworter*innen geschlechtersensibilisierter Sprache um Personenbezeichnungen geht. Konkreter formuliert geht es darum, dass nicht nur die männliche Form von Personenbezeichnungen verwendet werden soll, um Rechtssubjekte unabhängig von ihrem Geschlecht zu erfassen und zu adressieren.56 Der Vergleich zu Tieren und Sachen führt daher nicht weiter.

Doch selbst auf grammatikalischer Ebene kann das Argument, dass das grammatische Geschlecht nicht das biologische Geschlecht sei, nicht überzeugen. In der deutschen Sprache besteht eine enge Beziehung zwischen dem grammatischen Geschlecht (Genus) und dem biologischen Geschlecht (Sexus) von (natürlichen) Personen.57 Nach dem sog. Sexus-Genus-Prinzip58 werden männlich markierte Personen meist mit maskulinen Nomen (der Mann, der Vater, der Arzt) bezeichnet.59 Weiblich markierte Personen werden hingegen häufig mit femininen Nomen (die Frau, die Mutter, die Ärztin) konkretisiert.60 Insbesondere bei femininen Begriffen spiegelt das grammatische Geschlecht häufig die Geschlechtsidentität der bezeichneten Personen.61 Beispielsweise ist die Mehrzahl von “Ärztin” “Ärztinnen” und beschreibt eine Gruppe von weiblich markierten Personen. Obwohl Genus und Sexus als Kategorien differenziert werden müssen, zeigt sich gerade bei der Beschreibung von Personengruppen ihre enge Verknüpfung. Es kann insofern auch vom semantischen Geschlecht gesprochen werden.62 Je spezifischer die bezeichnete Person gekennzeichnet ist, desto eher verweist Genus auf Geschlecht, desto enger ist also die Konnexität zwischen Genus und Gender/Sexus (sogenannte Referenzialität).63

3. “Das sog. generische Maskulinum ist neutral.”

Eng mit dem Argument “das grammatische Geschlecht ist nicht das biologische Geschlecht” verknüpft, ist die These, dass das sog. generische Maskulinum neutral sei:64 “Das Elegante am generischen Maskulinum ist, dass es nicht wertet. Es meint keine Männer, keine Frauen oder andere Geschlechter, es meint Personen.”65

Dagegen lässt sich jedoch anführen, dass die deutsche Sprache - im Unterschied zu anderen Sprachen - über eine geschlechtsneutrale Form (“das”) verfügt, weshalb die maskuline Form in erster Linie eines ist: maskulin.

Ein echtes generisches Genus liegt nur dann vor, wenn ein Wort ausschließlich für eine Gattung, Art oder Klasse von Individuen steht. Beispiele sind Begriffe wie Mensch, Person, Individuum oder Rind. In diesen Fällen sind Genus und Sexus nicht deckungsgleich und es gibt keine komplementären Formen (z.B. keine weibliche Form zu Mensch und keine männliche Form zu Person).66 Das trifft auf Personenbezeichnungen, die im sog. generischen Maskulinum ausgewiesen sind, ganz überwiegend nicht zu. Zum einen wird es - bis auf wenige Ausnahmefälle - eine verfügbare weibliche (Komplementär-)Form geben. So stehen Ärzten, Ärztinnen gegenüber - einer Braut (grammatisch) ihr Bräutigam. Zum anderen beschreiben männliche Personenbezeichnungen vorrangig eine sexusspezifische männliche Teilmenge. “Ärzte” meint in erster Linie männliche Ärzt*innen, wie Ärztinnen vorrangig weibliche Ärztinnen beschreibt.67 Erst durch die Anwendung des sog. generischen Maskulinums soll der Begriff Ärzte männliche und nichtmännliche Ärzt*innen umfassen.

4. “Es gibt sehr wenige nichtbinäre Menschen.”

Manche Methoden gendersensibilisierter Sprache berücksichtigen neben Cis-Frauen und Cis-Männern auch nichtbinäre Personen. Hierzu zählen insbesondere der sog. Genderstern sowie der Doppelpunkt. Teilweise werden diese Methoden mit der Begründung abgelehnt, dass es nur sehr wenige nichtbinären Menschen gäbe.

Zugegeben: Da Cis-Personen selbst keine bzw. kaum Diskriminierungserfahrungen als nichtbinäre Person machen, haben sie das Privileg, sich nicht zwangsläufig mit diskriminierungssensibilisierten Formulierungen auseinandersetzen zu müssen. Für nichtbinäre Personen können Diskriminierungserfahrungen allerdings die tägliche Lebensrealität sein und eine Auseinandersetzung unabdingbar werden. Bewusst oder unbewusst: Personen, die binären Geschlechterrollen entsprechen, haben gegenüber nichtbinären Personen Vorteile. Weil nichtbinäre Personen sich nicht aktiv entscheiden können, einer Benachteiligung zu entgehen, kann von Personen, die im Gegenzug Vorteile aus ihrer Zugehörigkeit zum “Mainstream” erfahren, (zumindest) erwartet werden, die Existenz nichtbinärer Personen sprachlich anzuerkennen.

5. “Das kann doch niemand lesen.”

Es wird häufig gegen die Verwendung von gender- und diskriminierungssensibilisierter Sprache vorgebracht, dass wortinterne Sonderzeichen, wie das Sternchen, ein Unterstrich oder ein Doppelpunkt, nicht gut lesbar bzw. vorlesbar seien. Zutreffend ist, dass Lesenden zunächst über Sonderzeichen “stolpern” können, sodass der Lesefluss unterbrochen wird.68 Vielleicht sind es aber eben genau diese “Stolpermomente”, die es braucht, um mit Machtstrukturen, die in der deutschen Sprache als “Männersprache”69 verankert sind, zu brechen und nichtbinäre Personen sichtbar zu machen. Zudem erlernen Jurist*innen im Rahmen ihrer Ausbildung, mit komplizierten (Norm-)Texten umzugehen, sodass es zu ihren Fähigkeiten zählt, mit solchen zu arbeiten und sie zu verstehen. Es darf daher vermutet werden, dass sie der “Herausforderung”, einen gendersensibilisierten Text zu verstehen, gewachsen sind.70 Hinzukommt, dass sich das Argument des erschwerten Vorlesens und Erlernens der deutschen Sprache mit Blick auf Dissertationen nicht stellt. Schließlich ist in der Regel davon auszugehen, dass betreuende Personen der deutschen Sprache bereits mächtig sind und Dissertationen nicht vorgelesen werden. Wird eine Screenreader-Software genutzt, kann diese durchaus mit gendersensibilisierter Sprache, die Sonderzeichen verwendet, umgehen oder entsprechend konfiguriert werden.

Im Wesentlichen ist gender- und diskriminierungssensibilisierte Sprache eine Frage der Gewohnheit. Sprache ist im stetigen Wandel und verändert sich, seit es Sprache gibt.71 Mittlerweile geläufige Neuerungen begegneten zunächst viele mit Skepsis. Während im 17. und 18. Jahrhundert vor allem französische Begriffe entlehnt wurden, wurde die deutsche Sprache seit dem 19. Jahrhundert insbesondere durch Anglizismen angereichert.72 Vereinzelt werden Anglizismen bis heute als sprachliche “Bedrohung” betrachtet.73 Gleichzeitig sind sie fester Bestandteil der deutschen Sprache und es gibt, zumindest in Deutschland, keine aktive Sprachpolitik gegen eine Anreicherung der deutschen Sprache mit englischen Wörtern.74 Es drängt sich die Überlegung auf, ob der Diskussion um gendersensibilisierte Sprache eine ähnliche Entwicklung bevorsteht und sie schon bald usus ist. Zumindest Paarformulierungen scheinen sich bereits durchzusetzen.

6. “Wir haben das schon immer so gemacht.”

Das gegen gender- und diskriminierungssensibilisierte Sprache vorgebrachte Argument der Gewohnheit kann schon deswegen nicht überzeugen, da allein aus dem Umstand, dass etwas “schon immer so war”, nicht geschlossen werden kann und darf, dass es gut und richtig ist (sog. Sein-Sollen Fehlschluss75). Dieses Argument ist nicht inhaltlicher Natur und vermischt die deskriptive und die normative Ebene in unzulässiger Weise. Mit Blick auf das sog. generische Maskulinum76 ist zudem zu beachten, dass es sich dabei nicht - wie so häufig angenommen und unterstellt - um ein zeitloses Phänomen handelt. Vielmehr gab es noch im 19. Jahrhundert Tendenzen, Personenbezeichnungen nicht durch die Verwendung des Maskulinums, sondern durch die des Neutrums geschlechtsneutral zu gestalten.77 Obwohl sich das sog. generische Maskulinum im 20. Jahrhundert als “sprachwissenschaftliches Allgemeingut” etablierte,78 wurde die behauptete “Doppeldeutigkeit” maskuliner Formen erst 1986 durch den Linguisten Peter Eisenberg klar dargestellt.79 Eisenberg zufolge bezeichnet das Maskulinum als “unmarkierter Fall” übergeordnete, an sich geschlechtsneutrale Begriffe.80 Der Terminus des “generischen Maskulinums” wiederum ist erst seit den 1990er Jahren verbreitet und wurde auch erst 1995 in die Duden-Grammatik aufgenommen.81 Beachtlich ist jedoch, dass die Ausgabe der Duden-Grammatik das sog. generische Maskulinum erst 1995 beschreibt, wenngleich dies zu diesem Zeitpunkt nicht (mehr) allgemein geteilt wurde. Vielmehr wurde bereits 1998 ein Absatz eingefügt, wonach “die Verwendung des generischen Maskulinums immer mehr abgelehnt” wird.82

Anhand der kurzen Geschichte des sog. generischen Maskulinums zeigt sich, dass dieses erst in den 1980er Jahren entsprechend dargestellt wird. Auch wenn der Sachverhalt seit 1939 als “sprachwissenschaftliches Allgemeingut” gilt, ist es gerade nicht so, dass “wir es schon immer so gemacht haben”. Dies unterstreicht auch die bereits in den 1980er Jahren entgegengebrachte Skepsis. Eine Verallgemeinerung verbietet sich, auch wenn das Deutsche eine “Männersprache” ist und war, bereits aus dem Umstand, dass dies stets mit Kritik und Ablehnung einherging.83 Zudem sollte nicht vergessen werden, dass sich Sprache verändert, seit es Sprache gibt und es sich dabei nicht um eine unwandelbare Konstante handelt: “Das Deutsche hat schon viele Einflüsse aufgenommen und wird es auch weiter tun, um auch in der Zukunft funktionieren zu können.”84

7. “Es gibt wichtigere Fragen als geschlechtersensibilisierte Sprache.”

In der Diskussion wird häufig angeführt, dass es wichtigere Baustellen gäbe als geschlechtersensibilisierte Sprache und die Diskussion über Sprache allein nicht zu mehr materieller Geschlechtergerechtigkeit führe. Bei diesem Argument handelt es sich um ein Schein-Argument.85 Niemand behauptet, dass allein durch die Sichtbarmachung von marginalisierten Personen in der Sprache die Lösung für ein gesamtgesellschaftliches Problem gefunden sei. Vielmehr ist es die Summe aller Veränderungen, mögen sie noch so klein sein, die uns einer diskriminierungsfreien Gesellschaft näher bringt.86 Dabei zählt die praktische Ebene ebenso wie die symbolische, denn “jede unkonventionelle Sprachänderung schafft eine Grundlage für eine veränderte Vorstellung”87.

8. “Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat 2021 zum zweiten Mal beschlossen, den Stern und vergleichbare Zeichen nicht in die amtliche Regelung aufzunehmen.”88

Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat am 26.03.2021 seine Auffassung bekräftigt, dass allen Menschen mit geschlechtergerechter Sprache begegnet werden soll und sie sensibel anzusprechen sind. Dies sei allerdings eine gesellschaftliche und gesellschaftspolitische Aufgabe, die nicht allein mit orthografischen Regeln und Änderungen der Rechtschreibung gelöst werden kann. Der Rat hat vor diesem Hintergrund die Aufnahme von Asterisk (“Gender-Stern”), Unterstrich (“Gender-Gap”), Doppelpunkt oder anderen verkürzten Formen zur Kennzeichnung mehrgeschlechtlicher Bezeichnungen im Wortinnern in das Amtliche Regelwerk der deutschen Rechtschreibung zu diesem Zeitpunkt nicht empfohlen. Durch Beschluss hat der Rechtschreibrat an dieser Haltung festgehalten. Er schlägt nun aber eine Ergänzung des Amtlichen Regelwerks im Abschnitt Sonderzeichen vor, in dem auch die Probleme benannt werden.89

Auf Grundlage dessen führen Verwaltungsvorschriften auf Bundes- und Landesebene aus, dass die Regeln der deutschen Grammatik und Rechtschreibung zu beachten sind und dass die vom Deutschen Rechtschreibrat am 26.3.2021 veröffentlichte Auffassung verbindlich ist.90 Hieraus soll sich das Argument ableiten lassen, dass die Verwendung geschlechtersensibilisierter Sprache allgemein oder im Speziellen des Doppelpunktes und des sog. Gendersterns unzulässig sei.

Allerdings folgt aus dem geschilderten Sachverhalt keine verbindliche Regelung gegenüber wissenschaftlichen Texten. Dies gilt insbesondere, als es grundsätzlich möglich ist, Sprache und Rechtschreibung zum Regelungsgegenstand staatlicher Normierungen zu machen. Hinsichtlich einer geschlechtersensibilisierten Sprache bestimmt beispielsweise § 4 Abs. 3 des Bundesgleichstellungsgesetzes:

Die Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Bundes, die Dienstvereinbarungen der Dienststellen sowie die Satzungen, Verträge und Vertragsformulare der Körperschaften, Anstalten und Stiftungen sollen die Gleichstellung von Frauen und Männern auch sprachlich zum Ausdruck bringen. Dies gilt auch für den Schriftverkehr.

Gemäß Nr. 1 des Statuts des Rats für deutsche Rechtschreibung vom 17.6.2005 i.d.F. vom 30.3.2015 binden seine Vorschläge durch Beschluss der zuständigen staatlichen Stellen indes nur Schulen und Verwaltungen. Für wissenschaftliches Arbeiten sind die Vorschläge des Rates hingegen nicht bindend.91 Der Rat ist zudem nicht damit beauftragt, einer Weiterentwicklung und Veränderung der Sprache entgegenzuwirken. Vielmehr soll er gemäß Nr. 1 des Statuts die deutsche Sprache selbst beobachten und weiterentwickeln. Dass er (bisher) nicht vorgeschlagen hat, den sog. Genderstern in die amtliche Regelung aufzunehmen, spricht daher nicht per se gegen seine Verwendung. Dasselbe gilt für die angesprochenen Verwaltungsvorschriften: Sie sind lediglich behördenintern, nicht aber für Bürger*innen verbindlich.92 Daher ist die Freiheit, individuell schreiben und sprechen zu können, die in den Freiheitsrechten aus Art. 5 Abs. 3 und Art. 2 Abs. 1 (i.V.m. Art. 1 Abs. 1) GG93 abgesichert ist, insofern nicht betroffen. Dazu gehört auch die Freiheit, gender- und diskriminierungssensibilisierte Sprache zu verwenden.

Dementsprechend sind auch die meisten Verlage offen gegenüber gendersensibilisierter Sprache in wissenschaftlichen Publikationen. Sie schreiben keine bestimmte Methode des Genderns vor. Eine Übersicht über Verlage, die sensibilisiertes Publizieren ermöglichen, findet ihr im gleichnamigen Kapitel.

9. “Gendern ist Ausdruck einer bestimmten gesellschaftlich-politischen Auffassung.”

Dieser Aussage ist grundsätzlich nicht zu widersprechen. Gendersensibilisierte Sprache ist Ausdruck einer bestimmten gesellschaftlich-politischen Auffassung. Ebenso jedoch ist die Verwendung des sog. generischen Maskulinums kennzeichnend für gesellschaftspolitische Anschauungen. Dass die Sinnhaftigkeit inklusiver Sprache mit einem bloßen Verweis darauf, dass es politisch motiviert sei - während die Verwendung des sog. generischen Maskulinums neutral sei - infrage gestellt wird, ist kein Einzelfall. Gerade in der Rechtswissenschaft wird der “Vorwurf des Politischen” häufig Personen entgegengebracht, die progressive Meinungen vertreten,94 während sich Anhänger*innen von konservativeren Meinungen meist als “neutral” verstehen.95 Doch auch Personen, die den Status quo - und mithin das sog. generische Maskulinum - bewahren möchten, werden durch ihre gesellschaftspolitischen Meinungen geprägt und geleitet. Die Meinung der (vermeintlichen) Mehrheit ist weder neutral noch unpolitisch. Ebenso sind die Positionen von weißen, heterosexuellen, christlichen und/oder männlichen Menschen ohne Behinderung nicht neutral oder gar “normal”. Sofern Personen gender- und diskriminierungssensibilisierte Sprache diskreditieren möchten, da sie politisch sei, kann es helfen, ihnen ihr eigenes politisch-gesellschaftliches Vorverständnis aufzuzeigen. Zumal die Verwendung gender- und diskriminierungssensibilisierter Sprache nur dann ein “linker Kulturkampf” sein kann, wenn es eine*n kulturkämpferische*n Gegner*in gibt.96

Die kurze Antwort lautet daher: Ja, gendersensibilisierte Sprache ist politisch. Das sog. generischen Maskulinum ist indes gleichermaßen politisch.

III. Weiterführende Literatur

  • Luise F. Pusch, Das Deutsche als Männersprache, 1984.

  • Lena Völkening, Gendern. Warum wir die Flexibilität des Sprachsystems nutzen sollten, 2022.

  • Peter Eisenberg, Weder geschlechtergerecht noch geschlechtersensibel, APuZ 5-7/2022, 30.

IV. Zusammenfassung: Die wichtigsten Punkte

Zusammenfassend lassen sich folgende Argumente für die Verwendung von gender- und diskriminierungssensibilisierter Sprache in der Dissertation anführen:

  1. Sprache perpetuiert Machtstrukturen des (patriarchal geprägten) Status quo.

  2. Rechtswissenschaftliche Forschungsarbeiten beeinflussen den gesamtgesellschaftlichen Diskurs.

  3. Das Recht wurde vor allem von männlichen, heterosexuellen Menschen ohne Behinderung aus einer weißen Perspektive gestaltet.

  4. Es gibt nicht nur Cis-Frauen und Cis-Männer, sondern auch nichtbinäre Personen.

  5. Gerade bei antidiskriminierungsrechtlichen Arbeiten wäre es widersprüchlich, nicht auf gender- und diskriminierungssensibilisierte Sprache zu achten.

  6. Die Verwendung von gendersensibilisierter Sprache ist Ausdruck der Forschungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG.

  7. Frauen und nichtbinäre Personen wurden vom Maskulinum historisch häufig nicht “mitgemeint” und sind dem Risiko ausgesetzt, zukünftig nicht mehr “mitgemeint” zu werden.

  8. In der deutschen Sprache besteht eine enge Beziehung zwischen dem grammatischen Genus und dem biologischen Sexus der bezeichneten Person.

  9. Das sog. generische Maskulinum ist nicht neutral, sondern in erster Linie maskulin.

  10. Da nichtbinäre Personen nicht aktiv einer Benachteiligung entgehen können, kann von Personen, die im Gegenzug bevorteilt werden bzw. bevorteilt werden könnten, zumindest erwartet werden, die Existenz nichtbinärer Personen sprachlich anzuerkennen.

  11. Es ist eine Kernkompetenz von Jurist*innen, mit komplizierten Texten umzugehen. Insofern stellen gendersensibilisierte Texte keine besondere Herausforderung dar.

  12. Das sog. generische Maskulinum ist kein zeitloses Phänomen.

  13. Gender- und diskriminierungssensibilisierte Sprache ist keine alleinige Lösung gesellschaftlicher Probleme, aber eine der vielen notwendigen Veränderungen auf dem Weg zu einer diskriminierungsfreieren Gesellschaft.

  14. Der Beschluss des Rats für deutsche Rechtschreibung ist für wissenschaftliche Arbeiten nicht verbindlich.

  15. Gendersensibilisierte Sprache ist ebenso politisch wie das sog. generische Maskulinum.

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